Neues Supermaterial für eine energieeffiziente Architektur

Kühlend, lichtdurchlässig und blendfrei: Das neue Material vereint mehrere besondere Eigenschaften. (Foto ©️ Gan Huang, KIT)

Gebäude sollen einerseits immer mehr Glasfronten aufweisen, um möglichst viel Sonnenlicht in die Räume zu lassen, aber gleichzeitig gegen die größer werdende Sommerhitze isolieren. Nun haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) einen Werkstoff entwickelt, der beides kann, und noch mehr: er reinigt sich wie ein Lotusblatt selbst. Die Neuentwicklung könnte in Zukunft Glaskomponenten in Wänden und Dächern ersetzen.

 

Möglichst viel natürliches Licht in Gebäuden ist beliebt und spart Energiekosten. Herkömmliche Glasdächer und -wände bringen jedoch auch Probleme mit sich, etwa Blendung, mangelnde Privatsphäre und Überhitzung. Alternative Lösungen wie Beschichtungen und lichtstreuende Materialien bieten bislang noch keine umfassende Abhilfe.

 

Transparentes Metamaterial für eine energiesparende Licht- und Temperaturregulierung

Forschende am Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) und am Lichttechnischen Institut (LTI) des KIT haben nun ein neuartiges polymerbasiertes Metamaterial entwickelt, das verschiedene Eigenschaften vereint und in Zukunft Glaskomponenten im Baubereich ersetzen könnte. Dieses stellen sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Communications vor. Das sogenannte Polymer-based Micro-Photonic Multi-Functional Metamaterial (PMMM) besteht aus mikroskopisch kleinen Pyramiden aus Silikon. Diese Mikropyramiden messen rund zehn Mikrometer, das entspricht etwa einem Zehntel des Durchmessers eines Haars. Diese Beschaffenheit verleiht dem PMMM-Film mehrere Funktionen: Lichtstreuung, Selbstreinigung und Strahlungskühlung bei gleichzeitig hoher Transparenz.

 

„Ein wesentliches Merkmal ist die Fähigkeit, effizient Wärme durch das langwellige Infrarot-Übertragungsfenster der Erdatmosphäre abzustrahlen und so Wärme in die kalte Weite des Universums abzugeben. Das ermöglicht eine passive Strahlungskühlung ohne Stromverbrauch”, erklärt Bryce S. Richards, Professor am IMT und LTI.

 

In Außentests auf dem Campus des KIT hat das Forschungsteam das Material erfolgreich erprobt und hofft, bis nächstes Jahr eine Methode zu finden, um es in Fenstergröße herstellen zu können.

 

Kühlend, lichtdurchlässig und blendfrei

Im Labor und mit Experimenten unter freiem Himmel bei realen Außenbedingungen testeten die Forschenden die Eigenschaften des Materials und maßen mit moderner Spektrophotometrie Lichtdurchlässigkeit, Lichtstreuung, Reflexionseigenschaften, Selbstreinigungsfähigkeit und Kühlleistung.

Das Ergebnis:

  • In den Versuchen wurde eine Kühlung um sechs Grad Celsius gegenüber der Umgebungstemperatur erreicht.
  • Zudem zeigte sich eine hohe spektrale Durchlässigkeit, also Transparenz von 95 Prozent. Glas hat im Vergleich üblicherweise eine Transparenz von 91 Prozent.
  • Gleichzeitig werden durch die Mikropyramidenstruktur 73 Prozent des einfallenden Sonnenlichts gestreut. Das sorgt für eine verschwommene Optik.

 

„Wenn das Material in Dächern und Wänden verwendet wird, ermöglicht es so helle und gleichzeitig blendfreie sowie sichtgeschützte Innenräume für Arbeiten und Wohnen. In Gewächshäusern könnte die hohe Lichtdurchlässigkeit die Erträge steigern, weil die Effizienz der Fotosynthese schätzungsweise neun Prozent höher ist als in Gewächshäusern mit Glasdächern”, sagt Dr. Gan Huang, Gruppenleiter am IMT.

Die Mikropyramiden verleihen dem PMMM-Film zudem superhydrophobe Eigenschaften, ähnlich wie bei einem Lotusblatt: Wasser perlt in Form von Tropfen ab und entfernt dabei Schmutz und Staub von der Oberfläche. Diese Selbstreinigungsfunktion macht das Material pflegeleicht und langlebig.

 

Potenzial für Bau und Stadtentwicklung

„Unser neu entwickeltes Material hat das Potenzial, in verschiedenen Bereichen eingesetzt zu werden und leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und energieeffizienten Architektur“, erklärt Richards. „Das Material kann gleichzeitig für optimale Nutzung von Sonnenlicht in Innenräumen sorgen, passiv kühlen und die Abhängigkeit von Klimaanlagen reduzieren. Die Lösung lässt sich skalieren und nahtlos in Planungen für umweltfreundlichen Hausbau und Stadtentwicklung integrieren”, sagt Huang.

Für seine Arbeit hatte das Karlsruher Forschungsteam bereits im vergangenen Jahr den 1. Platz beim Public Choice Award des Helmholtz Best Scientific Image-Wettbewerbs gewonnen.

 

Zu den Forschenden

Erfinder des neuen Supermaterials sind u.a. Bryce Richards, Direktor des Instituts Nanophotonics of Energy am KIT, und der Materialforscher Gan Huang.

Richards, der aus Neuseeland stammt und unter anderem in Australien studierte, hat in seiner Laufbahn intensiv an neuartigen Solarzellen gearbeitet.

Huang, zeitweise Forscher an der Universität Oxford und dem Imperial College London, hat sich unter anderem mit Sonnenwärme beschäftigt: „Sauber, reichlich verfügbar und überall auf der Welt nutzbar – die Sonne liefert vieltausendfach mehr Energie, als die Menschheit benötigt“, sagt Dr. Gan Huang und forscht darüber, wie man aus ihr nutzbare Energie gewinnt – und wie man sie loswird, wenn es kühl sein soll.

 

Originalpublikation

Gan Huang, Ashok R. Yengannagari, Kishin Matsumori, Prit Patel, Anurag Datla, Karina Trindade, Enkhlen Amarsanaa, Tonghan Zhao, Uwe Köhler, Dmitry Busko, Bryce S. Richards: Radiative cooling and indoor light management enabled by a transparent and self-cleaning polymer-based metamaterial, Nature Communications volume 15, Article number: 3798 (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-48150-2

 

Links

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)