Im Tiroler Kaunertal kämpft Naturschutz gegen Erschließungspläne
Pläne zur Erweiterung des Kaunertaler Gletscherskigebiets und zum Ausbau des Kraftwerks Kaunertal zeigen es auf: Eines der letzten großen alpinen Ökosysteme steht stark unter Druck. Ein einzigartiger Schulterschluss der Alpenvereine aus Österreich, Deutschland und Südtirol gemeinsam mit Naturschutzorganisationen und Bürgerbewegungen fordert dringend den Stopp der Ausbaupläne und mehr Respekt für den alpinen Raum. Im Rahmen einer Pressekonferenz inmitten der Kaunertaler Bergwelt appellierten die Organisationen, Ausnahmeregelungen, wie sie im Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm und Tiroler Gletscherschutzprogramm zu finden sind, aufzuheben.
Seit längerem kämpfen die Organisationen für den Erhalt dieses noch unberührten Gletschergebietes, dem zweitgrößten nach der Pasterze, das durch neue Erschließungspläne nach dem Aus 2022 durch Pläne, das Pitztaler Skigebiet mit dem Kaunertaler zusammenzuschließen, wieder bedroht wird.
„Selten zuvor standen die Alpen so stark unter Druck, wie es aktuell der Fall ist“, erklärt Wolfgang Schnabl, Präsident des Österreichischen Alpenvereins bei einer Pressekonferenz auf 2400 Meter Höhe unter der Nordflanke der Weißseespitze, einem „Hotspot“, wenn von naturzerstörerischen Ausbauplänen die Rede ist.
„Erschließungen und Verbauungen gefährden die letzten unberührten Ökosysteme in unserer Bergwelt – politische Entscheidungsträger müssen hier dringend umdenken. Wir fordern mehr Respekt für die Alpen!“ Hinter dieser Forderung stehen die Alpenvereine aus Österreich, Deutschland und Südtirol und weitere Umweltorganisationen wie u.a. Global 2000, der WWF Österreich, der Umweltdachverband, die Naturfreunde Österreich sowie lokale Bürgerbewegungen.
„Klima- und Artenschutz müssen Hand in Hand gehen“
Unter dem Deckmantel der Energiewende will die TIWAG aktuell im Rahmen des Ausbaus des Kraftwerks Kaunertal das Platzertal fluten und somit zerstören. Dort befindet sich der größte unberührte Moor- und Feuchtgebietskomplex der österreichischen Hochalpen*. Moore speichern mehr Kohlendioxid als jedes andere Ökosystem der Welt und sind Lebensräume für spezialisierte Arten. „Klima- und Artenschutz müssen Hand in Hand gehen. Das Projekt aber ist auf dem einen Auge blind und muss deshalb unverzüglich gestoppt werden“, so Schnabl.
Absurde Ausnahmeregelungen
Wenige Kilometer vom Platzertal entfernt soll der völlig naturbelassene Gepatschferner rund um die Weißseespitze erschlossen werden. Dabei habe sich der Gletscher am Gepatschferner alleine im Vorjahr laut Gletschermessdienst um 67 Meter zurückgezogen. „Die Umwandlung nicht erschlossener Naturgebiete in hochalpine Dauerbaustellen ist nicht akzeptabel“, sagt der Präsident des ÖAVs.
Möglich machen solche Pläne absurde Ausnahmeregelungen im sogenannten Gletscherschutzprogramm, das verordnet wurde, um gewisse Bereiche von diesem Schutz auszunehmen.
„Großflächige Skigebietserweiterungen, wie sie im Kaunertal aber auch im Pitztal geplant sind, sind für uns eine klare rote Linie. Wir setzen uns für die Aufhebung der Ausnahmeregelungen und die Wiederherstellung des absoluten Gletscherschutzes, wie er im Tiroler Naturschutzgesetz verankert ist, ein“, erklärt Schnabl.
Manifest für mehr Respekt für den alpinen Raum
Bereits 2022 haben die Alpenvereine aus Österreich, Deutschland und Südtirol sowie der Club Alpino Italiano gemeinsam mit dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Südtirol und dem Heimatpflegeverband Südtirol das sogenannte „Manifest für mehr Respekt für den alpinen Raum“ unterzeichnet. Mit diesem Manifest wird die Notwendigkeit eines ernstgemeinten Schutzes des alpinen Raums bekräftigt. „Die Erschließung des alpinen Raumes ist abgeschlossen“, heißt es im Manifest. „Mit dem ‚Manifest für mehr Respekt für den alpinen Raum‘ sehen wir es als unsere Pflicht, gemeinsam mit den Alpenvereinen und unterschiedlichen Umweltorganisationen den immer wiederkehrenden Forderungen gewisser Wirtschaftskreise zur weiteren Erschließung unserer Alpen Einhalt zu gebieten. Es ist genug erschlossen, und unsere Kinder haben auch das Recht eine noch etwas intakte Natur vorzufinden“, betont Georg Simeoni, Präsident des Alpenverein Südtirol.
Simeoni geht in diesem Zusammenhang auch auf den Zusammenschluss zwischen dem Kaunertal und dem Südtiroler Langtauferertal ein: Da es im Langtauferertal kein Skigebiet gibt, kommen die Pläne des Zusammenschlusses mit dem Kaunertal einer Neuerschließung gleich. Der Alpenverein Südtirol zählt darauf, dass die Südtiroler Landesregierung an ihrer ablehnenden Haltung festhält und dem Vorhaben endgültig einen Riegel vorschiebt. „Die Erschließung neuer Räume im Hochgebirge ist für uns ein Tabu. Zugleich sagen wir aber ja zu neuen umweltverträglichen Perspektiven für das Langtauferertal”, sagt Simeoni.
*Quelle: WWF Studie: Schwienbacher 2023 Hochalpine Moore (wwf.at)
Titelfoto Harry Putz