Europäischer Gerichtshof bestätigt strengen Schutzstatus für Wölfe
Nachdem das Tiroler Landesverwaltungsgericht sich mit der Bitte um eine Rechtsauslegung an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt hatte, erging diese Woche Donnerstag das richtungsweisende Urteil zum Abschuss von Wölfen. Aufgrund der geringen Wolfspopulation in Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern urteilte der EuGh, dass das Abschussverbot und der strenge Schutzstatus der heimischen Wölfe aufrechtbleibt.
Ausgangspunkt des Verfahrens vor dem EuGH war ein Einspruch von Tierschutzorganisationen (Tierschutz Austria, WWF und ÖKOBÜRO) gegen einen Wolfs-Abschuss-Bescheid in Tirol im Jahr 2022. Im Zuge dessen hat sich das Tiroler Landesverwaltungsgericht mit Fragen zur Auslegung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie an den europäischen Gerichtshof gewandt. Auch Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler hatte eine Klarstellung durch den EuGH gefordert.
Die Entscheidung erging im Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Tirol und hat eine erhebliche Bedeutung für die Auslegung der FFH-Richtlinie im Umgang mit dem Wolf. Nachdem Österreich mit seinem EU-Beitritt 1995 keine Vorbehalte gegen den hohen Schutzstatus beim Wolf angemeldet hatte, gäbe es keine Ausnahme für Österreich. So erklärt der EuGH in einer Aussendung:
„Eine Ausnahme von diesem Verbot zur Vermeidung wirtschaftlicher Schäden kann nur gewährt werden, wenn sich die Wolfspopulation in einem günstigen Erhaltungszustand befindet, was in Österreich nicht der Fall ist.“
Hintergrund zum Vorabentscheidungsverfahren
Bei einem Vorabentscheidungsverfahren entscheidet der EuGH rechtsverbindlich für alle Mitgliedstaaten über die Auslegung von Unionsrecht – im gegenständlichen Fall über die Auslegung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Die Ergebnisse des Vorabentscheidungsverfahrens müssen in sämtlichen anderen, ähnlich gelagerten Entscheidungen und Verfahren in den übrigen EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt werden – nicht nur im Hinblick auf den Wolf, sondern auch im Hinblick auf andere streng geschützte Tierarten wie Luchs oder Fischotter.
Inhalt des EuGH Rechtsspruchs
Wenn sich die Wolfspopulation lokal als auch national in einem guten Zustand befindet und durch die Jagd auch nicht in ihrer Erhaltung gefährdet wird, dann darf ein Wolf zum Abschuss freigegeben werden. Dies ist in Österreich momentan nicht gegeben.
Der gute Erhaltungszustand einer Art kann nicht mit dem Vorhandensein eines guten Erhaltungszustandes in einem benachbarten Mitgliedsstaat festgesetzt werden. Selbst in einem Mitgliedsstaat mit einem guten Erhaltungszustand für eine Art kann etwa ein Abschuss dann verboten sein wenn sich dadurch negative Auswirkungen auf den Bestand im Nachbarstaat ergeben.
Desweiteren ist der Abschuss erst als letztes Mittel anzusehen, dem andere Lösungen wie zum Beispiel Herdenschutzmaßnahmen vorausgegangen sein müssen.
Der EuGH stellt auch klar, dass behauptete Einbußen in der Almwirtschaft nicht unter „ernste Schäden“ einzustufen sind. Von „ernsten Schäden“ i.S. von Art.16 Abs.1 lit.b der FFH-RL sind mittelbare, (zukünftige) wirtschaftliche Schäden, die nicht einem einzelnen Wolf zurechenbar sind, hiervon nicht umfasst. M. a. Worten ernste Schäden müssen bereits eingetretene materielle Schäden sein, die einem einzelnen Wolf zuzurechnen sind. Auch die These, dass ein Wolf mittelbare, (zukünftige) wirtschaftliche Schäden anrichten kann und daher den Abschuss rechtfertige, wird klar abgelehnt.
Die Argumentation das Herdenschutz als „gelinderes Mittel“ in Österreich zu teuer ist und daher nicht zumutbar sei, wird gerade in einem so reichen Land wie Österreich abgelehnt. Die Kosten für Herdenschutzmaßnahmen sind daher wirtschaftlich zumutbar, insbesondere auch deshalb da solche Kosten zu 100% von der EU finanzierbar wären. Es liegt an den einzelnen Staaten diesbezüglich ihre Fördersysteme wie ÖPUL auf Bundes- und Länderebene anzupassen.
Länder müssen Verordnungen ändern
In Österreich fällt Naturschutz in Gesetzgebung und Vollzug in die Zuständigkeit der Länder. Nach dem Urteil des EuGH müssen nun die Österreichischen Bundesländer ihre Wolf Abschuss Verordnungen und Alm- und Weideschutzgesetze umgehend abändern, da diese gegen die FFH Richtlinie verstoßen und ansonsten ein Vertragsverletzungsverfahren mit möglichen hohen Strafzahlungen droht
, so Tierschutz Austria Präsidentin Madeleine Petrovic über den juristischen Erfolg.
Unser Umgang mit geschützten Wildtieren: Natur ist nicht immer bequem
Das sieht der von der Landwirtschaftskammer zitierte Wolfsexperte Roland Norer von der Universität Luzern anders: „Der EuGH hat im Wesentlichen seine bisherige Rechtsprechung und damit auch die Wolfsmanagement-Praxis in Österreich bestätigt. Diese besteht darin, Einzelfallprüfungen auf regionaler und lokaler Ebene vorzunehmen. Dabei werden insbesondere die wirtschaftlichen Kosten von Herdenschutzmaßnahmen und auch ernste Schäden berücksichtigt, die unmittelbar bestimmten Problemwölfen zugerechnet werden können.“ und erklärt weiters: „Nach einer ersten Analyse des Urteils sehe ich somit keine unmittelbaren Auswirkungen auf die bestehenden Rechtsgrundlagen der Bundesländer und folglich keinen Änderungsbedarf. “
Kein günstiger Erhaltungszustand
„Der Erhaltungszustand des Wolfes ist in Österreich derzeit noch weit entfernt von günstig. Er wird im aktuellen Artikel 17 Bericht der österreichischen Regierung als offiziell mit „newly arriving species“ angegeben. Schaut man sich die aktuellen Daten der Bundesländer an, wird sich daran vermutlich auch nicht viel im nächsten Art 17 Bericht 2025/26 ändern. Laut diesen Daten der Bundesländer, ausgewertet in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, wurden im vergangenem Jahr 104 Wölfe in Österreich nachgewiesen. Bei den meisten Wölfen handelt es sich um Durchzügler. Die Karte mit Stand 04. Juli 2024 Wolf – Verbreitung Österreich – Österreichzentrum (baer-wolf-luchs.at) zeigt, dass von den 6 Vorjahresrudeln bisher nur eines im heurigen Jahr nachgewiesen werden konnte. Der günstige Erhaltungszustand setzt aber explizit eine erfolgreiche Reproduktion mit mehreren Rudeln in dem jeweiligen Land voraus. Österreichs Wölfe sollten laut EU- Kommission mehr als 1000 Exemplare umfassen, um von einem günstigen Erhaltungszustand sprechen zu können,“ erläutert Thoren Metz.
Die Umweltschutzorganisationen WWF Österreich und ÖKOBÜRO begrüßen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs. “Das ist eine wichtige Klarstellung: Bei streng geschützten Arten wie dem Wolf gehen gelindere Mittel wie der Herdenschutz vor. Der Abschuss darf nur das letzte Mittel sein”, erklärt WWF-Artenschutzexperte Christian Pichler.
Vielversprechende Pilotprojekte
Im Tiroler Oberland laufen derzeit drei Pilotprojekte zum Herdenschutz mit insgesamt mehr als 1.000 Schafen. Bisher gab es keine Risse, obwohl Wölfe in der Region nachgewiesen wurden. Trotz des offensichtlichen Potenzials gibt es hierzulande weder einen Ausbauplan, noch rufen die Bundesländer die Möglichkeiten zur Förderung von Herdenschutzmaßnahmen oder zur Ausbildung von Hirt:innen durch EU-Mittel ab – im Gegensatz zu anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich, das die Almwirtschaft generell stärker unterstützt: So will etwa Frankreich für die Periode 2023-2027 insgesamt 175 Millionen Euro aus EU-Mitteln abrufen, um das Hirt:innenwesen und auch den Herdenschutz zu stärken.