Brücke aus lebenden Wurzeln in Meghalaya, Indien

Das junge Studienfach Baubotanik erschafft Gebäude aus einer Kombination aus lebenden Pflanzen sowie Stahl und Beton. Damit sind die Pflanzen integraler Bestandteil der Konstruktion und benötigen dadurch keine zusätzliche Fläche. Somit können wir Städte grüner und hitzeresistenter gestalten und zu Wohlfühloasen gestalten. So sieht ein mögliches Zukunftsszenario aus, wenn wir uns trauen, alte Muster zu durchbrechen und neue Wege zu gehen.

 

Was ist Baubotanik?

„Es beschreibt eine Bauweise, bei der Bauwerke durch das Zusammenwirken technischen Fügens und pflanzlichen Wachsens entstehen. Dazu werden lebende und nicht-lebende Konstruktionselemente so miteinander verbunden, dass sie zu einer pflanzlich-technischen Verbundstruktur verwachsen: Einzelne Pflanzen verschmelzen zu einem neuen, größeren Gesamtorganismus und technische Elemente wachsen in die pflanzliche Struktur ein.“, so die Definition auf der Website der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture an der Technischen Universität München (TUM).

 

Für Baubotanik-Projekte fließt das gesammelte Wissen aus Botanik, Forstwirtschaft und Gartenbau bereits in die Entwurfsphase der Architekten ein: „Wir verwenden bestimmte Techniken wie die Pflanzenaddition, bei der Pflanzen miteinander verwachsen, um das gewünschte Grünvolumen schneller zu erreichen.“, erklärt der Professor für Green Technologies in Landscape Architecture an der TUM, Ferdinand Ludwig.

 

Der Begriff Baubotanik wurde 2007 am Institut Grundlagen moderner Architektur (IGMA) der Universität Stuttgart entwickelt und das Forschungsgebiet Baubotanik gegründet. Seit März 2017 ist das Forschungsgebiet an der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture der TUM angesiedelt und wird dort in einem breiten, interdisziplinären Netzwerk weiterentwickelt.

 

 

Historische Vorbilder

Dazu erklärt Ludwig, der Pionier auf diesem Gebiet: „In der Baubotanik integrieren wir Pflanzen in die Architektur. Ich habe mich mit dieser Thematik schon in den ersten Semestern meines Studiums beschäftigt. Es gibt ja historische Beispiele wie lebende Brücken in Indien oder auch die Tanzlinden in Deutschland – faszinierende, künstlich geformte Bäume, in die Podeste als Tanzböden integriert sind. Das hat mich in den Bann geschlagen, da diese archaischen Architekturen sich weiterentwickeln lassen und so Lösung für drängende Fragen unserer Zeit bieten.“ Der Architekt und leitende Professor für Baubotanik an der TUM hat für seine Entwürfe und Konstruktionen bereits einige Auszeichnungen erhalten.

 

Zu den jahrhundertealten Brücken in Indien erklärt Ludwig: „Die Brücken sind ein einmaliges Beispiel für vorausschauendes Bauen. Davon können wir viel lernen: Wir stehen heute vor Umweltproblemen, die nicht nur uns betreffen, sondern vor allem nachfolgende Generationen.“

 

Stadt als bewohnbarer Wald

„Meine Vision ist die einer Stadt als bewohnbarer Wald: Jedes Gebäude wäre aus klassischen Bauelementen und Bäumen gebaut. Die Stadtbewohner:innen wären, wie bei einem Waldspaziergang, ständig umgeben von Grün – das Fluchtbedürfnis «Raus aus der Stadt, ab in die Natur» wäre kaum mehr präsent.“, erklärt Ludwig im Interview mit dem Schweizer Onlinemagazin annabelle.

 

„Pflanzen sorgen für Kühlung und ein besseres Klima in der Stadt. Mit der Baubotanik muss nicht extra Raum für die Pflanzen geschaffen werden, da sie integraler Bestandteil der Bauwerke sind.“

Ferdinand Ludwig

 

Mit Baubotanik gegen Klimawandel

Die Überhitzung sei die grösste Naturkatastrophe unserer Zeit, betont Ludwig im Interview mit annabelle. „Wenn wir mit grüneren Städten auch nur ein klein wenig dazu beitragen können, die Temperaturen in den Griff zu bekommen, können wir zehntausende Leben retten. Gerade in den Städten ist ein Großteil der Fläche mit Stein, Beton und Asphalt verbaut. Diese Materialien heizen sich bei hohen Temperaturen schnell auf, Menschen und Tiere in den Städten leiden unter Hitzestress“, erklärt Ludwig und meint weiter: „Ein anderer Aspekt ist die Entfremdung des Menschen von der Natur. Diese wird auch in der Stadt wieder erlebbar, wenn die Menschen zum Beispiel das Gefühl haben, in einer Baumkrone zu wohnen.“ Die Baubotanik ist laut Ludwig eine sehr gute Methode, sich an den Klimawandel anzupassen.

 

Auf grün getrimmt

Wir sind genetisch stark auf grün getrimmt, wie auch bereits einige Studien belegen, erklärt Ludwig weiter im Interview mit annabelle. Umgeben von grün zu leben, tut uns unheimlich gut. So gesehen, könnten die Städte der Zukunft, wie sie Ludwig erträumt, zu echten Wohlfühloasen für uns werden.

Links

Prof. Ferdinand Ludwig – Projekte

Professur für Green Technologies in Landscape Architecture der TUM

Interview im Onlinemagazin annabelle