Mit Paludikultur wiedervernässte Moore nachhaltig bewirtschaften

Schilfernte im Moor (Foto©️Tobias Dahms)

Derzeit sind in Deutschland mehr als 92 Prozent der Moorflächen trockengelegt, in Österreich sind es 90%. Fast drei Viertel davon werden landwirtschaftlich genutzt, etwa als Acker oder Weide. Sie machen lediglich sieben Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen aus, sind aber für ca. 37 Prozent aller Emissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich – allein in Deutschland jährlich rund 53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Stoppt man die Entwässerung, ist die bisherige Bewirtschaftung nicht mehr möglich und Landwirt:innen verlieren ihr Einkommen. Paludikultur könnte eine alternative Einkommensquelle für die Betroffenen werden. Es gibt bereits bundesweit einige Versuchsflächen und auch Initiativen.

 

Begriffsklärung

Unter Paludikultur versteht man Verfahren zur nassen Bewirtschaftung von Mooren mit Torferhalt oder im Idealfall sogar Torfbildung.

 

Wesentlicher Hebel zur Co2-Reduktion

„Die Wiedervernässung von Mooren stellt einen wesentlichen Hebel zur Reduzierung von Treibhausgasen dar, denn Moore bedecken zwar nur drei Prozent der globalen Landfläche, speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie die Biomasse aller Wälder der Erde zusammen. Das gilt allerdings nur so lange, wie die Moore nass sind. In Deutschland trifft das derzeit lediglich auf rund fünf Prozent der Moorflächen zu“, sagt Dr. Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrum und Mitinitiatorin von „toMOORow„.

 

Paludikultur versus Renaturierung

Bei einer Bewirtschaftung in Paludikultur werden Moorökosysteme wiederhergestellt. Anders als bei einer Renaturierung lassen sich wiedervernässte Flächen in Paludikultur aber wirtschaftlich nutzen.

Auf einer wiedervernässten Fläche können allerdings keine Kartorffeln, kein Getreide oder Mais mehr angebaut werden. Auch eine Weidehaltung mit Kühen ist bei einem für das ⁠Klima⁠ optimalen Wasserstand nicht mehr möglich.

 

Wasserbüffel in der Sernitz-Niederung (Foto ©️ toMOORow)

 

Mögliche Bewirtschaftungsformen

Das Potenzial für den Klima- und Artenschutz – aber auch für Wirtschaft und Landwirtschaft – ist enorm: „Bundesweit könnten rund eine Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzte, trockengelegte Moore wiedervernässt und trotzdem weiter bewirtschaftet werden“, sagt Jan Peters, Geschäftsführer der Michael Succow Stiftung.

„Mit dem Anbau von zum Beispiel Schilf, Rohrkolben, Torfmoosen oder Seggen können Landwirtinnen und Landwirte nachwachsende Rohstoffe liefern, die fossile Ressourcen ersetzen und die Klimabilanz von Unternehmen verbessern. Gleichzeitig wird regionale
Wertschöpfung initiiert und es entstehen verlässliche Lieferketten, die zusätzlich Einsparungen beim Transport ermöglichen.“, erklärt Peters weiter.

Die meisten Paludikulturen befinden sich noch im Versuchsstadium. Das heißt: Für Landwirt:innen gibt es noch keine etablierten Produktionsketten und Vertriebswege. Dazu zählen u.a.:

  • Schilf, Rohrkolben und Seggen

So können beispielsweise Schilf, Rohrkolben und Seggen angebaut werden, aus deren ⁠Biomasse⁠ sich unter anderem Dämmstoffe und andere Baustoffe herstellen lassen.  „Eine mit Rohrkolben bepflanze Moorfläche spart im Vergleich zu einem entwässerten Niedermoor pro Jahr circa 18 Tonnen CO2 je Hektar ein.“ Der Anbau von Schilf für Dachreet ist eine traditionelle Paludikultur.

  • Schwarzerlen

Pflanzung von Schwarzerlen können kultiviert und forstwirtschaftlich genutzt werden.

  • Beweidung

Auch für eine Beweidung mit Wasserbüffeln eignen sich wiedervernässte Flächen.

  • Torfmoose

Die Kultivierung von Torfmoosen als Torfersatz in Substraten für den Gartenbau

  • Drosera

Der Anbau von europäischen rundblättrigen Sonnentau auf wiedervernässtem Hochmoor wird zurzeit erprobt. Drosera ist eine pflanzliche Arznei und wird seit vielen Jahrhunderten gegen Husten und Lungenerkrankungen eingesetzt. Der europäische Sonnentau bietet eine neue Alternative, werden momentan vorwiegend asiatische und afrikanische Sonnentau-Arten für die Arzneimittelherstellung verwendet.

 

europäischer Sonnentau (Drosera rotundifolia)

 

Schädliche Subventionen abbauen

Damit Paludikultur ökonomisch konkurrenzfähig wird, müssen laut Bundesamt für Naturschutz allerdings „schädliche Subventionen entwässerungsbasierten Landnutzungen (z.B. Energiemais-Anbau) abgebaut und stattdessen die nasse, klimaschonende Bewirtschaftung organischer Böden gefördert werden. Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zum finanziellen Ausgleich müssen ebenfalls noch geprüft und ggf. geschaffen werden.“

 

Allianz der Pioniere unterstützt Paludikultur

Diese vielfältigen Eigenschaften von Mooren für den Umwelt- und Naturschutz, aber auch für die Wirtschaft zu nutzen, ist das Ziel der Initiative „toMOORow“. Sie trägt damit zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommen bei. Im Rahmen dessen wurde die „Allianz der Pioniere“ mit initiiert.  Die Allianz der Pioniere ist ein Verbund bedeutender Wirtschaftsunternehmen, die im Sinne des Klima- und Biodiversitätsschutzes ihre Innovationskraft und Marktbedeutung nutzen wollen, um den Einsatz nachwachsender, regionaler Rohstoffe aus Paludikultur zu erproben und sich zukünftig aktiv in die Inwertsetzung der Paludi-Biomasse einzubringen.  Dazu gehören bekannte Firmen wie toom Baumarkt, Otto und Bau-Fritz. 2023 hat sie eine Machbarkeitsstudie erstellt, aus der hervorgeht, dass Moorgewächse in zahlreichen Wirtschaftsbranchen nutzbar sind.

 

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Gruppenfoto der neugegründeten Allianz der Pioniere am 30.4.2024 (Foto©️Marc Beckmann/toMOORow)

 

Mögliche Produkte laut dieser Machbarkeitsstudie von 2023:

  • Schallschutzwände, Trockenbauplatten und Systeme zur Wärmedämmung aus Schilf und Rohrkolben
  • Versandkartonagen und Türfüllungen aus Moor-Biomasse
  • chemische Grundstoffe für biobasierte Lacke, Farben oder Klebstoffe aus Gräsern
  • Torfersatz aus Torfmoosen
  • Heilpflanze gegen Atemwegserkrankungen – Sonnentau
  • Moltebeeren sind Vitaminlieferanten

 

SDGs

Das nachhaltige Handeln der Allianz der Pioniere und toMOORow zahlt auf sechs Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen ein: Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen (SDG6), Industrie, Innovation und Infrastruktur (SDG9), Nachhaltiger
Konsum und Produktion (SDG12), Maßnahmen zum Klimaschutz (SDG13), Leben unter Wasser (SDG14) und Leben an Land (SDG15)

 

Links

Umweltbundesamt: Entwickeln von Anreizen für Paludikulturen

toMOORow Initiative

Allianz der Pioniere

Bundesamt für Naturschutz