Weltweite genetische Vielfalt vieler Arten nimmt rapide ab

In der bislang umfassendsten globalen Analyse zu genetischer Vielfalt hat ein internationales Team von Fachleuten herausgefunden, dass genetische Diversität weltweit abnimmt, Naturschutzmaßnahmen jedoch helfen können, den Trend zu verlangsamen oder sogar umzukehren. Von den insgesamt 628 untersuchten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sind mehr als zwei Drittel bedroht, insbesondere Vögel und Säugetiere sind betroffen. Für viele der bedrohten Arten bestehen momentan noch keinerlei Schutzmaßnahmen.

Die biologische Vielfalt geht weltweit in noch nie dagewesenem Maße verloren. Dies findet auf drei Ebenen statt:

  • Rückgang der weltweiten Ökosysteme
  • Rückgang der Arten
  • Rückgang der genetischen Vielfalt innerhalb einer Spezies

Die neue internationale Studie untersucht den dritten Punkt, also den Rückgang der genetischen Vielfalt innerhalb einer Spezies, die elementar ist für die Fitness von Individuen und Populationen und damit für das langfristige Überleben von Populationen und Arten, was die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen gewährleistet. Je ähnlicher das Erbgut einer Population ist, desto anfälliger ist es. Das Aussterben von Arten, über das viel öfter berichtet wird, ist u.a. auch eine Folge der Verarmung des Erbguts.

Die Erhaltung der genetischen Vielfalt schützt die biologische Vielfalt vor künftigen Umweltveränderungen und unterstützt die Beiträge der Natur zur Gesellschaft. In Anerkennung ihrer Bedeutung enthält der Kunming-Montreal-Rahmenplan Ziele für den Schutz der genetischen Vielfalt aller Arten.

 

„Wir erzeugen doppeltes Problem“

Mit der fortschreitenden menschgemachten Klimakrise „erzeugen wir ein doppeltes Problem“ für viele Lebewesen, sagte der an der Studie beteiligte Leiter der Säugetiersammlung am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, Frank Zachos, gegenüber der APA. Dieses entstehe, weil wir  Menschen vielen Arten letztlich jegliche Anpassungsmöglichkeit nehmen.

 

Lockdown ermöglichte Aufwand

Die, während der Corona-Lockdowns von einem internationalen Team analysierten, Daten erstrecken sich über mehr als drei Jahrzehnte (von 1985 bis 2019) und decken 628 Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen aus allen terrestrischen und den meisten marinen Regionen der Erde ab. Zwei Drittel der untersuchten Populationen verlieren genetische Vielfalt, doch Schutzmaßnahmen, die darauf abzielen, die Umweltbedingungen zu verbessern, die Populationen zu vergrößern und die Anzahl sich fortpflanzender Individuen zu erhöhen, schützen genetische Diversität und lassen sie in einigen Fällen sogar wieder ansteigen.

„Es lässt sich nicht leugnen, dass die biologische Vielfalt weltweit rapide abnimmt – aber es gibt auch Hoffnung. Die von Naturschützerinnen und Naturschützern ergriffenen Maßnahmen können diese Verluste umkehren und helfen, genetisch vielfältige Populationen zu erhalten, die besser in der Lage sind, den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.“

Frank E. Zachos, Leiter der Säugetiersammlung am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien

 

Das internationale Team nutzte Innovationen in der Datenanalyse, um neue Erkenntnisse aus Studien zu gewinnen, die bereits vor Jahrzehnten durchgeführt wurden. So konnten sie Vergleiche zwischen Arbeiten anstellen, selbst wenn unterschiedliche Methoden angewendet und genetische Daten auf verschiedene Weise erhoben worden waren. „Dieser Ansatz hat es ermöglicht, die Veränderung der genetischen Vielfalt über die Zeit hinweg in einem nie dagewesenen Ausmaß nachzuvollziehen, was ein enormer Vorteil ist, wenn man Populationen und Trends auf globaler Ebene betrachten möchte“, so Zachos.

 

Auerhahn und Braunbär sind heimische Beispiele

In Mitteleuropa betrifft diese Verarmung des Erbgutes zum Beispiel die Auerhahn-Populationen in Deutschland, die aufgrund immer kleiner werdender Siedlungsgebiete in „Inselgruppen“ leben und kaum mehr eine Erbgut-Durchmischung erfahren. Dadurch sind sie immer öfter vom Aussterben bedroht.

Auch die Bärenpopulation wurde untersucht und festgestellt, dass es in Österreich keine neue Population an Braunbären mehr gibt. Zachos: „Österreich ist das einzige Land, das den Braunbären zwei Mal ausgerottet hat.“

 

Naturschutzmaßnahmen können den Trend aufhalten

Naturschutzmaßnahmen, die die genetische Verarmung aufhalten können, umfassen

  • Translokationen (bei denen Individuen zwischen Populationen umgesiedelt werden, um beispielsweise kleine Populationen zu stärken und Inzucht entgegenzuwirken),
  • Lebensraumrenaturierung,
  • Populationsmanagement sowie
  • die Regulierung von ver- bzw. ausgewilderten Arten und Schädlingen

Beispiele für erfolgreiche Maßnahmen sind etwa die

  • Translokation von Eisfüchsen und Präriehühnern in bestehende Populationen in Schweden bzw. Nordamerika sowie
  • die erfolgreiche Behandlung von Krankheiten in den Beständen der Schwarzschwanz-Präriehunde, was die Gesundheit der Kolonien im Nordwesten Montanas in den USA entscheidend verbessert hat.

 

Plädoyer für mehr Artenschutz

Die Wissenschaftler:innen hoffen, dass die vorgestellten Ergebnisse zu weiteren Naturschutzbemühungen führen, insbesondere in jenen Fällen, in denen es gegenwärtig keine gibt. Um Arten und Populationen langfristig zu schützen und ihre Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten, müssen Erkenntnisse wie die aus der vorliegenden Studie dringend in die Praxis des Natur- und Artenschutzes integriert werden.

 

Link

Die wegweisende Studie „Global meta-analysis shows action is needed to halt genetic diversity loss”, die soeben in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, ist das Gemeinschaftswerk eines internationalen Teams von mehr als 50 Forscher:innen.

https://www.nature.com/articles/s41586-024-08458-x