Kapitalismus am Kipppunkt: Wenn grünes Wachstum scheitert

Die Klimakrise ist längst kein abstraktes Zukunftsszenario mehr – sie trifft mit voller Wucht ins Herz unserer Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme. Dass ausgerechnet ein Vorstandsmitglied eines global agierenden Versicherungskonzerns wie der Allianz Group nun warnt, unsere Zivilisation selbst stehe auf dem Spiel, ist ein weiteres unüberhörbares Alarmsignal.

 

Günther Thallinger,der dem Vorstand der Allianz Group, einem der weltweiten größten Versicherungsunternehmen angehört, spricht in einem aufrüttelnden Beitrag auf LinkedIn von einer „existenziellen Bedrohung“: In einer Welt, die sich um drei Grad (oder sogar mehr) erwärmt – und auf diesem Pfad befinden wir uns momentan –  würden ganze Regionen unversicherbar, das Finanzsystem erodiere, der Staat verliere seine Fähigkeit, Schutz zu bieten. Seine Warnung ist klar: Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, funktioniert nicht mehr unter den Bedingungen eines destabilisierten Klimas.

 

„Wir nähern uns schnell Temperaturniveaus – 1,5C, 2C, 3C – bei denen die Versicherer nicht mehr in der Lage sein werden, eine Deckung für viele dieser Risiken anzubieten“, erklärt er auf LinkedIn. „Die Rechnung geht nicht auf: Die geforderten Prämien übersteigen das, was Menschen oder Unternehmen zahlen können. Dies ist bereits der Fall. Ganze Regionen werden nicht mehr versicherbar sein.“ Er nennt als Beispiel Versicherungsunternehmen, die aufgrund der Waldbrände in Kalifornien ihre Hausversicherungen einstellen.

 

 

„Hitze und Wasser vernichten Kapital. Überschwemmte Häuser verlieren an Wert. Überhitzte Städte werden unbewohnbar. Ganze Anlageklassen verlieren in Echtzeit an Wert.“

Günther Thallinger, Vorstandsmitglied Allianz Group

 

„Dies gilt nicht nur für den Wohnungsbau, sondern auch für die Infrastruktur, den Verkehr, die Landwirtschaft und die Industrie“, sagte er. „Der wirtschaftliche Wert ganzer Regionen – Küstenregionen, Trockengebiete, feuergefährdete Gebiete – wird allmählich aus den Finanzbüchern verschwinden. Die Märkte werden schnell und brutal neu bewerten. So sieht ein klimabedingtes Marktversagen aus“.

„Der Finanzsektor, wie wir ihn kennen, hört auf zu funktionieren. Und damit ist auch der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, nicht mehr lebensfähig.“

Günther Thallinger, Vorstandsmitglied Allianz Group

Green Growth unter Druck

Gleichzeitig bröckelt das Fundament, auf dem viele ihre Hoffnung auf einen Ausweg gesetzt haben: das sogenannte Green Growth. Die Idee des wirtschaftlichen Wachstums, das auf klimafreundlichen Technologien fußt, verliert angesichts geopolitischer Spannungen, Handelsbarrieren und technischer Engpässe an Boden. Während die einen sich freuen, dass durch Trumps Zölle die Wirtschaft nachlässt und dadruch weniger Ressourcen verbraucht, muss man jedoch sehen, dass diese auch auf Green Tech Sparten wie Solartechnik, Windkraftkomponenten und seltene Erden für den Umbau der Energieversorgung zutreffen. Die Zölle sind neben der politischen Abrückung von Klimazielen eine weitere große Hürde am Weg zur nachhaltigen Transformation.

 

Es fehlt Tempo und Umfang bei Umstellung

„Die gute Nachricht ist, dass wir bereits über die Technologien verfügen, um von fossiler Verbrennung auf emissionsfreie Energie umzustellen. Das Einzige, was fehlt, sind Tempo und Umfang. Es geht darum, die Bedingungen zu retten, unter denen Märkte, Finanzen und die Zivilisation selbst weiter funktionieren können“, so Thallinger weiter. Und wie bereits von anderen Experten festgestellt, erklärt: „Die Kosten der Untätigkeit sind höher als die Kosten der Umstellung und Anpassung. Wenn uns der Übergang gelingt, werden wir eine effizientere, wettbewerbsfähigere Wirtschaft [und] eine höhere Lebensqualität genießen“.

 

Selbst wenn konservative Stimmen das System in Frage stellen, ist es höchste Zeit, dass wir nicht nur unsere Technologien, sondern auch unsere Vorstellungen von Wohlstand, Sicherheit und Fortschritt neu denken. Denn wir befinden uns auf bestem Weg in eine für Menschen unbewohnbare Zukunft.

 

Unser pro.earth Fazit: Die Klimakrise ist kein Störfaktor im Getriebe des Kapitalismus – sie ist das Symptom eines Systems, das seine planetaren Grenzen ignoriert hat. Was wir brauchen, ist keine grüne Version des Immer-Mehr, sondern eine gerechte, solidarische und widerstandsfähige Ökonomie – jenseits des Wachstumsdogmas. Ob nun die Klimakrise den Kapitalismus zu Fall bringt oder ob wir es schaffen, das Wirtschaftssystem rechtzeitig zu transformieren, die „Kurve zu kratzen“ und den Planeten für die nächsten Generationen lebenswert erhalten zu können – die nächsten Jahre werden es zeigen.

 

„3 Grad Erderwärmung wäre das Ende der menschlichen Zivilisation“