Klimawandel verändert Europas Weinkarte: Wird Hull das Neue Bordeaux

Der Klimawandel verändert nicht nur unsere Landschaften – er könnte auch Europas edelste Tropfen neu verteilen. Eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Bain & Company schlägt Wellen: Traditionelle Weinanbaugebiete wie Bordeaux, das weltberühmte Herz des französischen Weins, könnten bis zum Ende des Jahrhunderts schlicht zu heiß und trocken werden, um klassische Rebsorten wie Cabernet Sauvignon weiterhin erfolgreich anzubauen. Stattdessen taucht ein unerwarteter Kandidat am Horizont auf: Hull – eine nordenglische Hafenstadt, bislang eher bekannt für Fischerei und Industrie, nicht für Spitzenwein.

 

Klimazone wandert nordwärts

Laut der Studie verschiebt sich die für Weinbau geeignete Klimazone in Europa bis 2100 deutlich nach Norden. Während Südeuropa zunehmend mit Hitzestress, Wassermangel und Ernteverlusten kämpft, könnten Regionen wie Südengland, Norddeutschland und sogar Teile Skandinaviens von den steigenden Temperaturen profitieren.

Das bedeutet: Wo heute noch Apfelplantagen stehen, könnten in wenigen Jahrzehnten Reben wachsen – und das auf hohem Niveau.

„Der Klimawandel ist längst Realität in Europas Weinbergen – wir stehen vor einer tektonischen Verschiebung in der globalen Weinindustrie.“
– Aus dem Bericht von Bain & Company

 

Herausforderungen für den Süden, Chancen für den Norden

Diese Entwicklung bringt nicht nur neue Chancen für bisher unbekannte Regionen mit sich, sondern stellt auch die jahrhundertealten Anbaukulturen in Südeuropa vor enorme Herausforderungen. Trockenheit, Schädlinge und die Notwendigkeit neuer Rebsorten werden den Weinbau in Frankreich, Spanien und Italien drastisch verändern.

Gleichzeitig entstehen in Großbritannien bereits jetzt neue Weinregionen – besonders in Kent, Sussex oder Hampshire. Sollte Hull tatsächlich zur neuen Hochburg für Cabernet Sauvignon werden, wäre das ein Symbol für eine völlig neue Ära des europäischen Weinbaus.

 

Österreich: Weinbau kehrt ins Bergland zurück

In Österreich ermöglicht der Klimawandel den Weinbau in höheren Lagen und bislang untypischen Regionen. Besonders in Kärnten erlebt der Weinbau eine Renaissance. Das Bundesland blickt auf eine tausendjährige Weinbaugeschichte zurück und profitiert nun von den veränderten klimatischen Bedingungen.

Allerdings bringt der Klimawandel auch Herausforderungen mit sich. Winzer müssen sich auf neue Schädlinge und Krankheiten einstellen, die durch die veränderten klimatischen Bedingungen begünstigt werden. Zudem können Extremwetterereignisse wie Spätfröste oder Starkregen die Ernte gefährden. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, setzen viele österreichische Winzer auf nachhaltige Anbaumethoden und den Anbau resistenter Rebsorten.

Deutschland: Neue Chancen im Norden, neue Sorten im Süden

In Deutschland verschiebt sich der Weinbau zunehmend in nördlichere Regionen. Erstmals wird Wein in allen Bundesländern angebaut, einschließlich Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In Breinermoor im Kreis Leer wurde ein Weinfeld mit 4.000 Rebstöcken eröffnet. Insgesamt gibt es in Deutschland 103.108 Hektar Rebflächen, mit Rheinhessen und Pfalz als größten Anbaugebieten. Der Klimawandel ermöglicht auch den Anbau internationaler Rebsorten wie Merlot und Cabernet Sauvignon in Deutschland. Weiße Rebsorten gewinnen anteilsmäßig, während rote Rebsorten zurückgehen. Besondere Aufmerksamkeit erhält ökologischer Weinbau, mit pilzresistenten Traubensorten wie Souvignier Gris in Friesland. Der ostfriesische Weinanbau zeigt, wie sich die meteorologischen Bedingungen durch den Klimawandel ändern und neue Möglichkeiten eröffnen.

Gleichzeitig setzen Winzer auf neue, pilzwiderstandsfähige Rebsorten (Piwis) wie Regent, Calardis oder Souvignier Gris, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und besser mit den veränderten klimatischen Bedingungen umzugehen.

 

Weinbau als Frühwarnsystem des Klimawandels

Die Weinrebe ist empfindlich. Sie reagiert sensibel auf kleinste Veränderungen in Temperatur, Bodenfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung. Dass sich der Wandel in der Weinwelt so deutlich zeigt, ist ein eindrucksvolles – und besorgniserregendes – Indiz für den fortschreitenden Klimawandel.

 

Fazit:
Die Verschiebung der Weinbaugrenzen zeigt eindrucksvoll, wie sich unsere Welt verändert – subtil, aber unumkehrbar. Wer heute über „das neue Bordeaux“ spricht, meint nicht nur Wein, sondern auch Klimaanpassung, globale Verantwortung und die Frage: Wie gestalten wir eine Zukunft im Einklang mit einem neuen Klima?