Kipppunkte im Klimasystem – Wie nah wir dem unumkehrbaren Wandel wirklich sind

Der Klimawandel ist keine ferne Zukunftsvision mehr – er verändert bereits heute das Erdsystem in einem besorgniserregenden Tempo. Besonders alarmierend: Immer mehr sogenannte Kipppunkte (engl. tipping points) könnten schon bald überschritten werden. Sie markieren kritische Schwellen in der Natur, nach deren Überschreiten Prozesse unumkehrbar und selbstverstärkend ablaufen.
Was sind Kipppunkte?
Kipppunkte sind Schwellen in Ökosystemen oder Klimamechanismen, deren Überschreiten zu plötzlichen und oft nicht mehr rückgängig zu machenden Veränderungen führen kann. Wissenschaftler:innen vergleichen sie mit einem Dominostein: Wird einer gekippt, folgen oft weitere.
Laut dem Weltklimarat (IPCC) und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geraten mehrere dieser Systeme bereits heute unter Druck – einige könnten schon bei 1,5 °C globaler Erwärmung instabil werden.
Die 7 gefährlichsten Kipppunkte im Überblick
- Grönlandeisschild
Der massive Eispanzer Grönlands verliert jedes Jahr Milliarden Tonnen Eis. Das Schmelzwasser fließt ins Meer – und treibt den Meeresspiegelanstieg voran. Wissenschaftler:innen befürchten, dass ab etwa 1,5 °C Erwärmung ein unumkehrbares Abschmelzen beginnen könnte, das langfristig bis zu 7 Meter Meeresspiegelanstieg verursacht.
- Auftauender Permafrost
Im Boden des Nordens steckt eine gewaltige Menge eingefrorener Biomasse – und damit Kohlenstoff. Taut dieser Permafrost, entweichen Treibhausgase wie Methan und CO₂ in die Atmosphäre. Das könnte die Erderwärmung zusätzlich um bis zu 0,3 °C beschleunigen – ein sich selbst verstärkender Effekt.
- Atlantische Umwälzströmung (AMOC)
Dieses Strömungssystem – bekannt als Golfstrom – transportiert warmes Wasser von den Tropen Richtung Europa. Studien zeigen, dass es bereits heute deutlich geschwächt ist. Ein weiterer Rückgang könnte extreme Wetterveränderungen in Europa, Afrika und Asien auslösen – bis hin zu einem regionalen Temperatursturz.
- Monsunsysteme
Milliarden Menschen in Südasien, Afrika und Südamerika sind auf regelmäßige Monsunregen angewiesen. Doch die globale Erwärmung verändert deren Verlauf: Die Niederschläge werden unzuverlässiger, Dürre und Flut wechseln sich ab. Das gefährdet nicht nur Ernten, sondern auch politische Stabilität.
- Amazonas-Regenwald
Der größte tropische Regenwald der Erde steht unter Druck: Abholzung, Dürren und Feuer schwächen seine Funktion als CO₂-Speicher. Forscher:innen befürchten, dass sich der Wald in eine Savanne verwandeln könnte – ein Kipppunkt mit globalen Folgen für Klima und Artenvielfalt.
- Antarktischer Eisschild
Auch die Antarktis verliert zunehmend Eis. Besonders besorgniserregend: Einige Gletscher dort könnten instabil werden und damit einen langsamen, aber unaufhaltsamen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter verursachen – über Jahrhunderte hinweg.
- Korallenriffe
Korallen sind extrem sensibel gegenüber Erwärmung und Versauerung der Ozeane. Schon bei heutigen Temperaturen sterben große Teile der tropischen Riffe ab. Ohne radikalen Klimaschutz könnten Korallenriffe bis Mitte des Jahrhunderts fast vollständig verschwinden – mit massiven Folgen für Fischerei, Küstenschutz und Tourismus.
Warum das relevant ist – auch für uns
Diese Kipppunkte sind keine isolierten Phänomene. Sie sind miteinander vernetzt – das heißt: Das Überschreiten eines Kipppunktes kann andere beschleunigen oder überhaupt erst auslösen. Das macht sie so gefährlich.
Laut dem Copernicus Climate Change Service (C3S) lag die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur im Jahr 2024 bei 1,6 °C über dem vorindustriellen Niveau (1850–1900) . Auch die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) bestätigte 2024 als das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, mit einer Abweichung von etwa 1,55 °C .
Bleiben Emissionen hoch, wird die 1,5 °C-Marke voraussichtlich zwischen 2026 und 2042 dauerhaft überschritten – genau in dem Bereich, den viele Kipppunkte als Schwelle haben.
Können wir das noch aufhalten?
Ja – aber die Zeit wird sehr knapp.
Nur durch drastische und sofortige Reduktion von Emissionen kann das Risiko, Kipppunkte zu überschreiten, noch deutlich gesenkt werden.
Dazu braucht es:
- Eine schnelle Abkehr von fossilen Energien
- Einen Umbau von Landwirtschaft, Industrie und Mobilität
- Internationale Zusammenarbeit und gerechten Klimaschutz
Kipppunkte im Klimasystem sind keine Spekulation – sie sind real, messbar und teils schon aktiv. Doch wie sich die Zukunft entwickelt, liegt noch in unserer Hand. Jeder Zehntelgrad zählt – und jedes Jahr, das wir früher handeln, kann verhindern, dass wir unumkehrbare Schäden anrichten.