Erfolgreiche Renaturierung – Flüsse kehren zurück
In vielen Regionen Europas vollzieht sich derzeit eine stille, aber bedeutende Veränderung: Flüsse kehren zu ihrem natürlichen Lauf zurück. Jahrzehntelang wurden sie begradigt, aufgestaut und kanalisiert, um Platz für Landwirtschaft, Industrie und Siedlungen zu schaffen. Heute zeigt sich zunehmend, dass dieser Eingriff in die Dynamik der Gewässer nicht nur ökologische, sondern auch gesellschaftliche Folgen hatte. Überflutungen, der Verlust wertvoller Lebensräume und der Rückgang der Biodiversität waren die Konsequenz. Nun beginnt vielerorts ein Umdenken – und mit ihm eine Bewegung, die Hoffnung macht.
Die Renaturierung von Flüssen gilt inzwischen als eine der wirksamsten Maßnahmen der europäischen Umweltpolitik. Der aktuelle „Dam Removal Progress 2025“-Bericht dokumentiert, dass allein im vergangenen Jahr europaweit 542 Barrieren – darunter Dämme, Wehre und Rohrrinnen – entfernt wurden, so viele wie nie zuvor. Damit konnten über 2.900 Kilometer Flussläufe wieder miteinander verbunden werden. Der Anstieg gegenüber dem Vorjahr beträgt rund elf Prozent, was den kontinuierlichen Fortschritt dieser Bewegung unterstreicht. Besonders aktiv sind Länder wie Finnland, Spanien und Frankreich, die gezielt alte und ungenutzte Bauwerke abbauen, um natürliche Fließdynamiken wiederherzustellen. Schätzungen zufolge existieren in Europa noch immer über 1,2 Millionen Barrieren, von denen die meisten kleiner als zwei Meter sind. Ihr Abbau ist technisch machbar, aber von großer ökologischer Wirkung, da sie den Austausch von Sedimenten, Nährstoffen und wandernden Fischarten behindern.
Auch in Deutschland gewinnen Flüsse ihre Lebendigkeit zurück. An der Isar, der Emscher und der Elbe entstehen wieder natürliche Auenlandschaften, die Raum für Artenvielfalt und Hochwasserschutz bieten. Im Rahmen nationaler Programme hat das Bundesamt für Naturschutz in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte gefördert, die die Wiederanbindung von Auen und die Renaturierung von Uferbereichen ermöglichen. Eine Datenbank listet inzwischen über 200 abgeschlossene oder laufende Projekte, die teils seit den 1980er-Jahren umgesetzt werden. In der Wümmeniederung etwa wurde der Fluss so umgestaltet, dass wandernde Fische wie der Lachs wieder von der Mündung bis in die oberen Abschnitte gelangen können. Auch an der Ahr wird durch den Rückbau alter Wehre die Durchgängigkeit für Fische und Kleinstlebewesen verbessert.
Renaturierung bedeutet aber nicht nur Artenvielfalt, sondern auch Sicherheit. An der Elbe bei Aken zeigte sich im Hochwasserjahr 2023, wie wirksam natürliche Überflutungsflächen sein können: Millionen Kubikmeter Wasser strömten in die wiederhergestellten Auen und senkten den Elbpegel messbar. Fachleute schätzen, dass bereits eine Überflutung von einem Meter in den Auen den Pegel um bis zu 30 Zentimeter senken kann. Solche Maßnahmen sind eine natürliche und nachhaltige Antwort auf die zunehmenden Extremwetterereignisse.
Trotz dieser Fortschritte bleibt die Aufgabe groß. In Deutschland gelten laut Umweltbundesamt noch immer über 90 Prozent der Flüsse und Seen als ökologisch beeinträchtigt – durch Begradigungen, Uferbefestigungen oder Verschmutzungen. Gleichzeitig wächst der politische Wille, diesen Zustand zu ändern. Das neue EU-Naturwiederherstellungsgesetz sieht vor, bis 2030 mindestens 25.000 Kilometer Flüsse in einen freien, naturnahen Zustand zu versetzen.
Renaturierung ist kein nostalgischer Versuch, eine vermeintlich unberührte Vergangenheit wiederherzustellen. Sie ist Ausdruck eines neuen Verständnisses von Fortschritt – eines, das den Wert natürlicher Prozesse erkennt und nutzt. Wenn Flüsse wieder frei fließen dürfen, entstehen nicht nur neue Lebensräume, sondern auch eine neue Beziehung zwischen Mensch und Natur. In der Rückkehr des Wassers spiegelt sich die Fähigkeit unserer Gesellschaft, alte Fehler zu erkennen und in lebendige Zukunft zu verwandeln.