Overtourism: Widerstand gegen Massentourismus nimmt zu
Der Begriff „Übertourismus“ ist mit dem weltweiten Aufschwung des Tourismus nach der COVID-Pandemie wieder aktuell geworden.Vielerorts fanden in den letzten Wochen und Monaten Proteste und Demonstrationen gegen die negativen Auswirkungen des Massentourismus statt. So gingen in Palma de Mallorca und auch auf Teneriffa und Barcelona tausende Menschen auf die Straße, um gegen die unerträglichen Zustände aufmerksam zu machen. In vielen betroffenen Städten und Regionen versuchen Kommunalregierungen mit unterschiedlichen Konzepten und Maßnahmen dagegenzusteuern. Als Reisende können wir ebenfalls zu einer Verbesserung der Situation beitragen.
Wachstum um jeden Preis
Wie so viele andere Branchen ging es in der Reisebranche zu sehr um Wachstum und zu wenig um die damit einhergehenden Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung und die Umwelt. Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) errechnete, dass die verkehrsbedingten Kohlendioxidemissionen des Tourismus bis 2030 gegenüber 2016 um 25 % ansteigen, was einem Anstieg von 5 % auf 5,3 % aller vom Menschen verursachten Emissionen entspricht.
Die UNWTO prognostiziert auch, dass die Zahl der weltweiten Touristen, die 2019 mit 1,5 Milliarden ihren Höchststand erreichte, bis 2030 auf 1,8 Milliarden ansteigen wird, was wahrscheinlich zu einem größeren Druck auf die bereits beliebten Orte und zu mehr Proteste und Frustration der Einwohner:innen führen wird.
Der große Treiber des Übertourismus sind aber laut Tourismus-Forscher Jürgen Schmude (im Interview mit der tagesschau) die internationalen Touristenströme, die stark gestiegen sind und die in den nächsten zehn bis 15 Jahren noch mal um 50 Prozent ansteigen werden, sofern die Prognose der Welttourismusorganisation tatsächlich eintrifft. So besitzt zum Beispiel in China heute erst 10% der Bevölkerung einen Pass.
Das Phänomen Overtourism
Bereits 2019 war die Angst vor einem übermäßigen Tourismuswachstum so groß, dass die UN-Welttourismusorganisation dazu aufrief, „ein solches Wachstum verantwortungsvoll zu steuern, um die Chancen, die der Tourismus für Gemeinden auf der ganzen Welt bieten kann, bestmöglich zu nutzen“.
Betroffene Orte/Regionen
- Mount Everest
- Machu Picchu
- Santorin
- Amsterdam
- Barcelona
- Teneriffa
- Venedig
- Dubrovnik
- Hallstatt
- Maya Bay („The Beach“)
In betroffenen Regionen und Städten bildete sich als Reaktion auf die Tourismusmassen eine antitouristische Stimmung, mit der klaren Botschaft: „Tourists go home.“ Frustrationen und auch Proteste traten neben Barcelona und Palma de Mallorca auch in anderen berühmten Städten wie Amsterdam, Venedig, London, Kyoto und Dubrovnik auf.
DerStandard zitiert Oliver Fritz vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), laut dem man unter Overtourism den Zustand versteht, „wenn die Lebensqualität der Bevölkerung erheblich durch eine hohe Anzahl von Touristinnen und Touristen leidet, aber auch das touristische Erlebnis der Gäste durch eine Überlastung der lokalen Infrastruktur oder einen Verlust an Authentizität einer Destination beeinträchtigt wird“.
Justin Francis, Mitbegründer und Geschäftsführer von Responsible Travel, einem Reiseveranstalter, der sich auf nachhaltiges Reisen spezialisiert hat, sagt: „Die sozialen Medien haben den Tourismus auf Hotspots konzentriert und das Problem verschärft, und die Touristenzahlen steigen weltweit, während die Reiseziele eine endliche Kapazität haben. Solange die Menschen vor Ort nicht richtig befragt werden, was sie vom Tourismus wollen und was nicht, werden wir weitere Proteste erleben.“
Probleme des Übertourismus
Immer mehr und größere Kreuzfahrtsschiffe, viel zu billige Flüge, AirBnB, Orte, die durch Social Media und Filme legendär wurden, weltweit immer mehr Menschen, die sich das Reisen leisten können und gewisse weltberühmte Hotspots auf ihrer Bucket-List abarbeiten wollen, lassen gewisse Orte zu reinen Kulissen verkommen.
So sind beispielsweise die Kanarischen Inselns das beliebteste Reiseziel Spaniens und dennoch die ärmste Region des Landes. Tragisch. Das Geld, das die Touristen zahlen, kommt nicht adäquat in den Gemeinden und bei den Menschen an. „Das hat man lange hingenommen, weil der Tourismus aus wirtschaftlicher Sicht großen Nutzen stiftet – mit der Einschränkung, dass die Erträge oft nicht in der Region verbleiben und auch nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner zu gleichen Anteilen davon profitieren.“ erklärt diesbezüglich der Tourimus-Experte Fritz.
Ein weiteres Problem ist das Wohnungsthema: So vermieten Wohnnungseigentümer lieber an Touristen als an einheimische Mieter, wodurch die Hauspreise steigen. Infolgedessen können sich viele Ansässige die Mietpreise nicht mehr leisten und müssen wegziehen. Dadurch gehen Gemeinschaften verloren und die betroffenen Städte drohen auszusterben, wie dies in Venedig bereits eindrücklich zu beobachten ist.
Und auch überteuerte Preise, übermäßige Warteschlangen, überfüllte Strände, exorbitante Lärmpegel, Schäden an historischen Stätten und die Auswirkungen auf die Natur, wenn Menschen die offiziellen Wege überrennen oder verlassen, sind weitere negative Auswirkungen des Übertourismus.
Dazu kommen die übermäßige Anhäufung von Müll, Luftverschmutzung und Lichtverschmutzung, was die natürlichen Lebensräume oder die Fortpflanzungsmuster stören (Baby-Meeresschildkröten zum Beispiel können durch künstliche Beleuchtung desorientiert werden, wenn sie schlüpfen) kann.
Maßnahmen gegen Übertourimus
Das wachsende Bewusstsein für die Folgen des Übertourismus hat lokale und nationale Regierungen dazu veranlasst, ihre Güter durch nachhaltige Tourismuspraktiken zu schützen und dafür zu sorgen, dass touristisches Verhalten der lokalen Umwelt nicht schadet – oder besser noch, ihr sogar nützt.
Mögliche Lenkungsmaßnahmen
- Reisen außerhalb der Hauptsaison attraktiver machen
- Weniger besuchte Standorte attraktiver für Touristen gestalten – dies wird in Amsterdam und auch Berlin angewendet
- Verringerung der Anzahl an Kreuzfahrtschiffen (zB auf Santorin und auch Dubrovnik)
- Tourismusabgabe und Sperrung des Giudecca-Kanals für Kreuzfahrtschiffe in Venedig
- Beschränkung der täglichen Touristenzahlen (zB Antarktik)
- Erhöhung der Übernachtungssteuer (zB in Barcelona)
- Strafen für das Verlassen der ausgewiesenen Wege und Straßen (zB in Kenias Maassai Mara)
- Verbote für gewisses Verhalten: Strafen für das Verweilen auf historischen Stiegen oder Brunnen in Rom, Joint-Rauch-Verbot in Amsterdam an bestimmten Plätzen
- Eindämmung der illegalen Wohnungsvermietung
„Wir müssen jedoch aufpassen, dass wir nicht einfach die gleichen Probleme anderswo wiederholen. Das Wichtigste ist, in Absprache mit den Menschen vor Ort eine klare Strategie dafür zu entwickeln, was ein Ort vom Tourismus will oder braucht“, meint Justin Francis dazu.
Was wir dagegen tun können
- Sofern dies möglich ist, sollten wir unsere Reise in der Vor- oder Nachsaison planen.
- Unseren Abfall sollten wir ordnungsgemäß entsorgen sowie möglichst vermeiden, indem wir wiederverwendbare Gegenstände mitnehmen.
- Wir nehmen Rücksicht auf die örtlichen Bräuche und Sehenswürdigkeiten.
- Wir suchen uns Gebiete außerhalb der beliebtesten Orte für unsere Reise.
- Wir bevorzugen familiengeführte und lokale Unternehmen.
- Wir gestalten die An- und Abreise möglichst nachhaltig.
Wir müssen unsere Reiseverhalten ändern, meint Schmude dazu: „Eigentlich ist es eine pädagogische Aufgabe, das Reiseverhalten schon in relativ jungen Jahren zu ändern. Dafür müsste man in den Schulen vermitteln, dass sich nicht alle wie die Lemminge verhalten – und alle zur gleichen Zeit an dieselben Orte fahren. Das geht auch anders.“
Links:
UN-Welttourimusorganisation UNWTO
Jürgen Schmude Interview in der tagesschau