Lützerath und die deutschen Klimaziele
Lützerath war in allen Medien. Das Dorf am Rande des riesigen Braunkohleabbaugebiets Garzweiler II in Deutschland war in den letzten Monaten Schaupatz von Klimaprotesten und in den letzten Tagen polizeilicher Räumungsaktion. Auch Greta Thunberg war am Samstag vor Ort und demonstrierte mit rund 35.000 Menschen gegen den weiteren Braunkohleabbau und die Schleifung des Orts Lützeraths. Für die Erreichung des Pariser 1,5 Grad Ziels, das viele Klimaschützer als gefährdet sehen durch den verstärkten Braunkohleabbau.
Die Wogen vor Ort, in den Medien und in Diskussionen gehen hoch. Braucht es diesen Abbau, um Deutschlands Energiesicherheit in der momenaten Energiekrise zu garantieren? Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wen man fragt. Es gibt Gutachten in jede Richtung.
Dasselbe betrifft die Frage, ob Deutschland die Klimaziele erreichen kann, wenn bis 2030 verstärkt auf Braunkohle gesetzt wird. Auch bei dieser Frage gehen die Meinungen stark auseinander.
„Solange die Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen (der EU, Anm.) wirklich hart bleibt und sinkt, und der CO2-Preis wirkt, können wir vorübergehend auch mehr Kohle verfeuern – weil dies zur Einsparung von Emissionen an anderer Stelle führt, also unterm Strich nicht zusätzliche klimaschädliche Abgase in die Atmosphäre gelangen. Auch wenn Lützerath abgebaggert wird, hat die Kohle keine Zukunft.“
So der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer. Dies sehen unter anderem Klimaaktivist*innen wie Greta Thunberg anders.
„Dieser vorgezogene Kohle-Deal, der da gemacht wurde, ist ein Greenwashing-Deal, könnte man sagen, denn unterm Strich – das zeigen Gutachten – wird damit gar kein CO2 eingespart. Es wird die Menge an CO2, die sonst emittiert würde, in einem kürzeren Zeitraum ausgestoßen”, meint Luise Neubauer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat 2021 analysiert, ab welcher Kohlenmenge das Pariser Abkommen nicht mehr zu halten wäre. Rechnet man zu den 2021 errechneten 200 Mio. Tonnen für die Tagebaue Hambach und Garzweiler den zu hohen Verbrauch der Sektoren Verkehr und Gebäude sowie den gestiegenen Kohleverbrauch durch die Energiekrise, ergibt sich für DIW-Expertin Claudia Kemfert wohl deshalb:
„Das 1,5-Grad-Ziel ist mit der geplanten Abbaggerung von Lützerath nicht zu halten. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die anderen Sektoren in wenigen Jahren die Mehremissionen kompensieren werden.“
Man könne den Kohhleverbauch reduzieren um die Klimaziele zu erreichen, schreibt ein Forscher des FossilExit Projekts im Tagesspiegel, und zwar durch „Energieeinsparungen, Reduktion der Kohleveredelung, Verlagerung der Braunkohlestromerzeugung in den benachbarten Tagebaukomplex Inden/Weisweiler, sowie Ersatz von Braunkohlestrom durch CO2-ärmere Energieträger wie Erneuerbare, Gas, Steinkohle oder Stromimporte“.
Durch das verstärkte Anfeuern der Kohlemeiler in den kommenden Jahren, so eine Studie des Energie-Forschungszentrums Aurora, könne der Mehrausstoß an CO2 nicht durch den früheren Ausstieg von 8 Jahren wieder wettgemacht werden.
Die Bedeutung von Lützerath
„Der sogenannte Klimaminister Robert Habeck liegt falsch: Lützerath ist kein Symbol. Sondern tatsächlich der physische Ort, an dem sich entscheidet: Bleiben wir unter 1,5 Grad? Oder rennen wir in eine Zukunft der Klimakatastrophe?“, so Martin Kaier von Greenpeace Deutschland.
In einem ZDF-Interview meint Niklas Höhne vom NewClimate Institute, dass Lützerath ein Präzedenzfall angesichts dessen sei, dass „noch viele andere sehr schwierige Entscheidungen” anstünden. Denn „wenn wir diese Entscheidung hier nicht hinbekommen, weil es zum Konflikt kommt, dann wird es sehr schwierig, alle anderen genauso schwierigen Entscheidungen zur Klimawandel durchzubekommen.“
„In Summe betragen die volkswirtschaftlichen Kosten für unsere Gesellschaft durch die Verbrennung der Kohle, die zu zusätzlichen Klimaschäden in Deutschland und weltweit führt, ein Vielfaches der RWE-Gewinne. Es ist daher an der Politik, durch entsprechende Eingriffe gesamtgesellschaftliche Schäden abzuwenden”, kommentiert Nachhaltigkeitsprofessor Pao-Yu Oei und Leiter der Forschungsgruppe FossilExit im Tagesspiegel.
Nachdem Lützerath nun „gefallen“ ist, bleibt nur die Betroffenheit über die Gewaltexzesse und über die neuerliche Hinwendung zu fossilen Energieträgern.