Klimatologin: „Wir brauchen neue Narrative für die Welt, in der wir leben wollen“

Ende Dezember 2023 erschien das neue Buch der deutschen Physikerin, Philosophin und Klimatologin Friederike Otto, die letztes Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde. Seit Jahren forscht sie am Grantham Institute for Climate Change des renommierten Imperial College London zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem basiere auf Ausbeutung von Mensch und Umwelt, sagt die laut TIME Magazine 2021 zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit gehörende Forscherin.

 

In ihrem neuen Buch „Klimaungerechtigkeit: Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat“ beschreibt sie anhand von Extremwetter-Beispielen, was in einer Gesellschaft gut funktioniert, was nicht und wer besonders unter den Auswirkungen zu leiden hat.

 

Unser System macht wenige reich und ganz viele krank

In Interviews anlässlich der Bucherscheinung sagt sie, dass „je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger ist sie in der Lage, mit den Auswirkungen des Klimawandels umzugehen“. Die völlige Abkehr von fossilen Brennstoffen ist die einzige Möglichkeit den Klimawandel zu bekämpfen – nicht der Einsatz von technischen Lösungen. Diese seien eine reine Ausrede, weiterzumachen wie bisher.

 

„Das Gesellschaftsmodell, in dem wir jetzt leben, basiert auf der Ausbeutung von Menschen und Umwelt. Fossile Brennstoffe sind schon allein durch die Luftverschmutzung, die sie verursachen, schädlich für Menschen – allen voran für ärmere Menschen, die oft noch stärker davon betroffen sind. Gefördert wurde dieses Gesellschaftsmodell in Europa und den USA, indem man den globalen Süden als unterbezahlte Arbeitskraft zur Förderung der Ressourcen nutzt. Der Klimawandel ist kein Asteroid, mit dem wir umgehen müssen, sondern ein Symptom unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das nach wie vor wenige reich und ganz viele krank macht.“, sagt Otto im Interview mit DerStandard.

Deutlich sichtbar an Hitzewellen

„Ganz deutlich sieht man das daran, wer in Hitzewellen stirbt. Hitzewellen sind mit Abstand die tödlichsten Extremwetter-Ereignisse. Letztes Jahr gab es in London eine relativ kurze Hitzewelle, in der allein mehr als 2000 Menschen gestorben sind. Es sind eben Menschen, die in weniger gut isolierten Häusern wohnen, die weniger gebildet sind und damit weniger Zugang zu Informationen haben und von Unwetterwarnungen nicht erreicht werden. Häufig haben sie Vorerkrankungen.“, erklärt Otto im Interview mit der Frankfurter Rundschau.

 

Es fehlen die Bilder darüber, wie wir leben wollen

Stattdessen brauche es in Zukunft auch neue Narrative: etwa dass Wohlstand und fossile Energien nicht zwangsweise miteinander verbunden sind und Klimaschutz auch mehr Gerechtigkeit bedeuten muss.

„Der Kern meines Buches ist: Es fehlen uns positive Geschichten von dem, wie wir leben wollen. Gesellschaftlich brauchen wir neue Narrative: darüber, dass sinnvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht Entbehrungen und Verlust, sondern eine höhere Lebensqualität, mehr Gesundheit und Freiheit bringen. Dass mit den richtigen Maßnahmen Wohlstand und Überfluss nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft liegen. Da haben auch die Medien die wichtige Aufgabe, solche Geschichten zu erzählen.“, meint die Klimaforscherin.

 

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