Wir retten die Menschheit mit Turbobäumen und plastikfressenden Bakterien – Bühne frei für neue Narrative
Schon einmal von synthetischer Biologie gehört? Sie könnte Schlüsseltechnologie für die Zukunft sein, allein es fehlen uns Bilder am Horizont, die uns diese Möglichkeit überhaupt anerkennen lassen.
Tara Shirvani, die in Wien geborene Expertin für Nachhaltigkeit, Klimafinanzierung und Umweltschutz stand der science.ORF.at Rede und Antwort in Sachen Klima- oder besser Lebensrettung auf dem Planeten Erde.
Wie schon der Titel ihres letzten Jahres veröffentlichten Buches „Wie wir das Klima retten, den Müll aus dem Meer holen und den ganzen Rest auch noch glänzend hinbekommen“ erahnen lässt, hat sie relativ gut erforschte Lösungsansätze.
Turbobäume
„Es dauert ungefähr 20 Jahre, bis aus einem Setzling der Pappel ein ausgewachsener Baum geworden ist. 20 Jahre haben wir im Klimaschutz aber nicht mehr. Auf der anderen Seite brauchen wir enorme Flächen an Waldgebieten, um einen relativ kleinen Prozentsatz der CO2-Emissionen zu reduzieren; daraus ergibt sich die Frage, gibt es einen Weg, diesen ganzen Prozess zu beschleunigen?“
Laut Tina Shiryani gibt es den. Es handelt sich dabei um sogenannte Hybridpappeln, denen Gene von Kürbissen oder Algen synthetisch eingebaut werden, damit sie schneller wachsen.
Vor allem in Nordamerika fließt in diese Idee einiges an Energie und ja, es ist möglich. Man könnte diese Hybridpappeln mit effizienteren Genen bauen, die dazu beisteuern, den Photosyntheseprozess viel effizienter zu machen.
Plastikfressende Bakterien
Bakterien, die einfach freigelassen werden und sich von Plastik ernähren und so das Meer plastikfrei machen – Science-Fiction? Nein.
Zwar ist die Forschung noch im Gange und einige Features werden ausprobiert, damit keine Horrorszenarien ausbrechen, aber möglich ist es – und gar nicht so weit entfernt wie wir vielleicht denken.
Bis 2030 sinkt der bedarf an Rinderzucht um 70 %
„Jedes Nahrungsmittel ist im biologischen Sinn eigentlich eine Verpackung von Nährstoffen. Der Inhalt des Pakets besteht aus Proteinen, Fetten, Kohlenhydraten und Vitaminen. Durch die synthetische Biologie haben wir jetzt die Möglichkeit, einige dieser wichtigen Nährstoffe präzise und viel billiger herzustellen, in einem Prozess, der viel effizienter ist als eine ganze Kuh zu züchten. Nehmen wir das Beispiel der Milch her: die Kuhmilch, so wie wir sie kennen, besteht ja eigentlich nur zu drei Prozent aus dem Schlüsselprotein, das die Milch ausmacht; die restlichen Prozent sind ja eigentlich nur Wasser, Zucker und dann einige Fette. Es geht nur um die drei Prozent dieses Schlüsselproteins, um die Milch wirklich zu ersetzen, dann habe ich genau idente Kuhmilch. Und wenn ich weiß, welche Gene dafür verantwortlich sind, kann ich diese drei Prozent durch synthetische, biologische Werkzeuge ersetzen. Dann kann ich eigentlich die komplette Kuhmilchindustrie radikal, exponentiell und sehr schnell umstellen. Den Rest der Kuh braucht man dann eigentlich gar nicht mehr, denn es dauert ja relativ lange, bis eine Kuh heranwächst und als Teil der Nahrungsmittelproduktion eingesetzt werden kann. In Australien und in Asien gibt es bereits Unternehmen, die sagen: okay, diese drei Prozent des Schlüsselproteins, das verantwortlich ist für die Milchproduktion, das ersetzen wir jetzt synthetisch.“
Tina Shiryani im Gespräch mit science.ORF.at
Woran scheitert es bis jetzt?
In Singapur ist Hühnerfleisch aus Zellkultur ganz normal im Handel erhältlich. Auch in den USA sind bereits zwei Produkte zugelassen. Für uns Europäer klingt das nach Sciende-Fiction.
„Wenn wir uns jetzt überlegen würden, einen alternativen Planeten oder den Mars zu besiedeln, dann können wir ja weder ertragreiches Land noch unsere Nahrungsmittel mitnehmen, wie wir sie heute produzieren. Wir kennen die DNA-Struktur aller Nahrungsmittel und aller Nährstoffe wie Proteine, Kohlenhydrate und Fette, und wir haben die Werkzeuge, die Biologie zu lesen, zu schreiben und zu verändern; und das zu einem Bruchteil der Kosten und noch viel einfacher als noch vor zehn Jahren. Dadurch können wir auch viele dieser Nährstoffe auf biologische Art und Weise im Labor herstellen. Ich glaube, synthetische Biologie hört sich immer sehr synthetisch an, aber wir nehmen ja dieselben Informationen, die es in der Natur gibt, und bauen sie als Teil eines komplett neuen Systems nach.“
Brauchen wir neue Bilder im Kopf?
Das Naturkonzept in Europa ist wohl romantischer geprägt als anderswo. Sollten wir uns davon verabschieden? Oder zumindest unseren Horizont erweitern?
Große Teile unserer Landwirtschaft stehen jetzt schon auf der Basis der synthetischen Biologie – lügen wir uns also dieses Naturbild nur vor?
Fragen, die es auf breiter Ebene zu diskutieren gilt.