„Abfallkolonialismus“: Was mit unverkaufter Ware von EU-Modekonzernen passiert

Stiftung COMÚN präsentierte im Vorfeld der „Österreichischen Konsumdialoge: Textilien“ erste Ergebnisse einer neuen, bislang unveröffentlichten UNO-Studie aus Chile

Die Fast Fashion-Industrie ist nicht nur einer der größten Verbraucher & Verschmutzer von Wasser, sie ist auch ein gewaltiger Emittent von Mikroplastik und trägt zur Schädigung des Klimas bei. Intensiv wurde bereits die Produktion der Kleidung in Ländern des globalen Südens beleuchtet, wenig ist jedoch bislang über das Ende der Stücke bekannt. Eine neue Studie im Auftrag zweier UNO-Organisationen zeigt das nun am Beispiel des südamerikanischen Landes Chile, wo Unmengen an Textilabfällen landen – auch aus Europa.

Binnen nur eines Jahres ist Chile zum viertgrößten Altkleidungs-Importeur der Welt geworden, rund 156 Millionen Kilogramm wurden alleine 2021 eingeführt. Darunter finden sich auch nachweislich neuwertige Kleidungsstücke von EU-Modekonzernen wie H&M oder Adidas. Im Vorfeld der „Österreichischen Konsumdialoge: Textilien“ präsentierten die gemeinnützige Bundesstiftung COMÚN und die Studienautorin Beatriz O’Brien erste Ergebnisse der Studie vorab und appellierten an die europäischen Regierungen zu handeln:

Wir kannten bereits die Bilder von Bergen aus Kleidung in der Wüste, wussten bislang aber nicht mit Sicherheit, woher die Textilien stammen und wer sie in Auftrag gegeben hat. Mit der vorliegenden Studie ist erstmals wissenschaftlich fundiert dokumentiert, dass auch europäische Modekonzerne ihre in der Europäischen Union nicht verkaufte Ware im globalen Süden abladen. Wir können die Schuld für die Kleiderberge also nicht auf Südamerika abwälzen. Wir machen mit unseren Altkleider-„Spenden“ den Menschen in Chile oder Afrika keinen Gefallen, im Gegenteil, wir belasten sie mit unserem Müll. Sie und die Umwelt vor Ort leiden massiv an der enormen Umweltverschmutzung, die von den Kleidern ausgeht. Wir müssen die EU in die Pflicht nehmen dafür zu sorgen, dass am Anfang und Ende der Wertschöpfungsketten europäischer Konzerne die Menschenrechte gewahrt und die Umweltstandards eingehalten werden. Das kann man weder an die Konsument*innen noch die Bevölkerung Südamerikas delegieren“, so Veronika Bohrn Mena, COMÚN-Vorsitzende.

Studienautorin O’Brien: Ablagerung von Altkleidung ist Form des „Abfallkolonialismus“

Berge von Kleidung inmitten der Wüste – diese Aufnahmen gingen 2022 um die ganze Welt und sorgten für Empörung. An vielen Kleidungsstücken hing noch die Verkaufsmarke aus Modegeschäften, sie landeten scheinbar unverkauft und ungetragen als „Altkleidung“ im globalen Süden. Jetzt wissen wir: Der Kreislauf der Modestücke aus südostasiatischen Fast Fashion-Fabriken, angeboten in hippen Shops in europäischen Städten, findet sein Ende in der Wüste. Studienautorin Beatriz O’Brien bezeichnet dies als „Abfallkolonialismus“:

Der Abfall, mit dem sich die lokale Bevölkerung der Region Tarapaca auseinandersetzen muss, ist nicht ihr eigener. Er ist Teil einer globalen Konsumgesellschaft, die ständig wächst und sich ausbreitet und die Region und das Land überschwemmt hat, so dass es für eine einst florierende lokale Textilindustrie schwierig und sogar fast unmöglich ist, sich wieder zu entwickeln.“

Doch was genau landet dort, wo kommt es her und welche Folgen hat das für Menschen, Klima und Umwelt? Dieser Frage ging die Forscherin im Auftrag der UNO-Organisationen ECLAC (Economic Comission for Latin America and the Caribbean) und UNECE (United Nations Economic Comission for Europe) nach. Ihre Studie ist nun abgeschlossen und wird im Herbst in Chile vorgestellt. Im Rahmen der „Österreichischen Konsumdialoge: Textilien“ ist sie auf Einladung von COMÚN in Österreich und präsentierte erste Ergebnisse vorab.

 

Studienergebnisse: Chile viertgrößter Importeur der Welt – neuwertige Waren von H&M und Adidas in Müllbergen

  • Chile war im Jahr 2021 bereits der viertgrößte Importeur von Altkleidung weltweit (hinter Pakistan, VAE und Malaysia) und die Nummer eins in Südamerika.
  • 156 Millionen Kilogramm wurden ins Land gebracht, eine Steigerung um fast 200% gegenüber Vorjahren, denn 2020 waren es noch rund 60 Millionen Kilogramm.
  • Zum Vergleich: In Österreich fallen jährlich 44 Millionen Kilogramm an Alttextilien an, etwa die Hälfte davon wird ins Ausland exportiert. Deutschland, der zweitgrößte Altkleidungsexporteur der Welt, brachte 2021 rund 462 Millionen Kilo ins Ausland.
  • O’Brien hat sich auch die regionale Herkunft der Kleidungsstücke und ihrer Produzenten angesehen. Vorwiegend in Südostasien gefertigte Textilien von europäischen Textilkonzernen wie etwa H&M und Adidas stecken in den Müllbergen.
  • Dabei handelt es sich nicht nur um Kleiderspenden, sondern nachweislich auch um neuwertige, unverkaufte Ware, die keinen einzigen Tag getragen wurde.
  • Über vier chilenische Häfen kommt die Kleidung in Ballen zu rund 40 bis 45 Kilogramm aus den USA, Asien und Europa ins Land. Zum Kilopreis von 1 bis 2 US-Dollar wird sie dort in der Freihandelszone Iquique verkauft.

Aus dem ganzen Land strömen Menschen in die Region, um günstig Textilien zu erwerben. Vor allem arme Migrant*innen aus lateinamerikanischen Ländern haben sich in der Region angesiedelt. Was nicht verkauft wird, das landet in der Wüste, in der Nähe der Stadt Alto Hospicio werden gigantische Türmen gebildet. Seit dem medialen Aufschrei über die Ablagerungen hat sich das Procedere gewandelt – seither wird die Altkleidung verbrannt.

Große Teile der Altkleidung bestehen aus erdölbasierten Fasern wie Polyester oder Polyamid, man geht von rund 63 Prozent aus. Mit ihrer Verbrennung ist ein großes gesundheitliches Risiko für die Menschen vor Ort verbunden. Mikroplastik und Chemikalien gelangen auch in die Böden und Gewässer. Die Behörden der Region sind überfordert und stehen unter dem wirtschaftlichen Druck, den der Handel mit der vermeintlichen Altkleidung mit sich bringt.

COMÚN: Konzerne müssen in Verantwortung genommen werden

Für Veronika Bohrn Mena ist dieses traurige Ende der globalen Textil-Wertschöpfungskette in Chile ganz eng mit den Profiteuren & Auftraggebern verbunden:

In der EU ansässige Textilkonzerne, die unter katastrophalen Bedingungen in Südostasien und Südosteuropa produzieren lassen, müssen in die Verantwortung genommen werden. Schon bei der Produktion, über ein starkes Lieferkettengesetz, aber auch beim Thema Altkleidung.“