Auf Biegen und Brechen: Es lebe der Skizirkus

Der Anlass ist keiner positiver, aber die öffentliche Diskussion darüber sehr wohl. Der Oktober war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Alpen sind ein Klimawandel-Hotspot. Die Gletscher gehen immer mehr zurück. Sie sterben. Aber nicht der Skizirkus. Als gäbe es all die Veränderungen gar nicht, wird am traditionellen Zeitplan festgehalten. Und mit unglaublicher Gewalt gegen das Unausweichliche mit Baggern angekämpft. Ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist. Und tiefe Wunden in dem fragilen Ökosystem der Hochgebirgslandschaft hinterlässt.

 

Das Nationalheiligtum alpiner Skisport geriet angesichts der heftigen Diskussionen über die Umweltverträglichkeit und Sinnhaftigkeit zum Saisonauftakt in Sölden letztes Wochenende, wo noch kurz davor am Rettenbachgletscher die Bagger wüteten, völlig ins Hintertreffen. Die Kritik kam nicht nur von Klimaschutzorganisationen sondern auch vom (damals in Thailand verweilenden) FIS-Chef Johan Eliasch. „Ich verstehe auch nicht, wer sich im Oktober für Skirennen interessiert und warum wir auf Gletschern ohne Schnee fahren. Ich hoffe, dass der ÖSV offen ist für eine Verlegung nach hinten“, sagte er in einem ORF-Beitrag. Viel absurder kann der Zirkus kaum mehr werden.

Hinter dem frühen Saisonstart, der den heutigen Gegebenheiten einfach nicht mehr entspricht, stecken wirtschaftliches Kalkül und das Millionengeschäft mit Wintersport und Tourismus, auf das man nicht verzichten will.

https://news.pro.earth/2022/11/28/der-sterbende-winter-in-den-alpen/

 

Skiverband soll Klimavorreiter werden

Greenpeace kritisierte gemeinsam mit der ehemaligen österreichischen Skirennläuferin und Menschenrechtsaktivistin Nicola Werdenigg angesichts der vergleichsweise hohen Temperaturen im Oktober, wenig Schneefall und Gletscherzerstörung den frühzeitigen Start des Ski-Weltcups und berichtete im Vorfeld immer wieder über die massiven Bauarbeiten am Gletscher. Anstatt die Natur zu gefährden und die Erderhitzung zu befeuern, muss der internationale Skiverband FIS zum Klimaschutzvorreiter werden, forderte die Umweltorganisation.

„Hier werden Skisport und Naturschutz gegeneinander ausgespielt. Unsere Gletscher dürfen nicht Prestigeprojekten zum Opfer fallen“, ließ Greenpeace-Sprecherin Ursula Bittner wissen. „Um die Fahrbahn für den Skiweltcup zu begradigen und ihre Breite beizubehalten, wurde offensichtlich entschieden, den betroffenen Gletscherteil komplett zu entfernen und mit Schutt sowie Kunstschnee wieder aufzufüllen.“

 

FIS und Greenwashing?

Der internationale Skiverband behauptet von sich klimapositiv zu sein – also mehr CO2 einzusparen, als er ausstößt. Dabei finanziert er laut Greenpeace vorwiegend intransparente Projekte und fälscht damit die eigene Klimabilanz. Greenpeace-Wirtschaftsexpertin Ursula Bittner: “Wenn es darum geht, direkt die Umwelt und das Klima zu schützen, versagt die FIS. Für den Ski-Weltcup wurden in Sölden der Gletscher abgetragen und im Schweizer Zermatt teilweise illegale Pisten-Arbeiten durchgeführt. Das hat nichts mit Klimaschutz zu tun. Es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert.”

https://news.pro.earth/2023/04/24/offener-brief-an-fis-praesident-eliasch-greenpeace-international-fordert-echten-klimaschutz-statt-ablasshandel/

 

Es macht wenig Sinn

„Ich bin keine Expertin“, sagt Mikaela Shiffrin, „aber ich weiß genug, um sagen zu können: Das, was wir derzeit tun, macht wenig Sinn.“ Sie fordert eine Änderung des Rennkalenders, der Saisonstart in Sölden solle nach hinten verlegt werden. „Bis zu welchem Grad sollen wir unsere Umwelt an einen Zeitplan anpassen, den wir haben wollen? Oder sollten wir unsere Zeitpläne an die Umwelt anpassen?“ fragte die Ausnahmeathletin kürzlich. Olympiasiegerin Lara Gut-Behrami aus der Schweiz pflichtet Shiffrin bei: „Wir haben weniger Schnee im November und viel im April. Für viele Athleten würde es Sinn machen, Mitte November zu beginnen.“ Der aktuelle Termin sei „nicht logisch“.

Einige österreichische Sportlerinnen sehen dies ähnlich. Die ehemalige österreichische Skirennläuferin Werdenigg schließt sich jetzt auch den Forderungen von Greenpeace und Skirennläufer Julian Schütter an die FIS an: Gemeinsam fordern sie vom internationalen Skiverband fünf sofortige Maßnahmen, um den Skisport nachhaltiger zu machen. Etwa soll der Rennkalender verschoben und hohe Umweltstandards geschaffen werden. Nur so können Gletscher sowie weitere sensible Ökosysteme geschützt werden.

 

Kritik seitens Politik

Auch die österreichische Umweltministerin äußerte sich kritisch: „Wir haben die heißesten Oktobertage gehabt, die jemals gemessen wurden“, sagte Leonore Gewessler (Grüne) am Montag im Ö1-Morgenjournal. Für die Umweltministerin ist es auch deshalb „unverständlich, warum man auf Biegen und Brechen an einem Skistart im Oktober festhalten muss“. Gewessler appelliert an die FIS, ihre Zeitpläne zu überdenken. „Das versteht keiner, warum jetzt schon auf den letzten Gletscherresten Ski gefahren werden muss.“

 

Unser pro.earth. Fazit:

Irgendwie erinnert uns die Situation daran, in einem austrocknenden Teich schwimmen zu wollen. Weil das Event vermarktet wird und viel Geld im Spiel ist, muss es um jeden Preis stattfinden, komme, was wolle. Dafür werden massive Eingriffe in die Umwelt in Kauf genommen. Und mit viel Geld alles künstlich hergestellt, was aufgrund des Klimawandels nicht mehr natürlich vom Himmel kommt. Und das verschlechtert die allgemeine Situation des Teichs und seiner Umgebung. Wann hören wir damit auf? Wann ist die Grenze des Absurden erreicht? Wir müssen alte Traditionen und Gewohnheiten dringend überdenken. Auch wenn es ums Big Business geht. Auch wenn es um das Nationalheiligtum Skifahren geht. Ansonsten können wir nur sagen: Willkommen in Absurdistan.

 

https://news.pro.earth/2023/07/26/klimawandel-in-den-alpen/