Es ist zum Weinen: EU verlängert Glyphosat um zehn Jahre

Heute in der Früh war noch alles offen. Die EU-Mitgliedsstaaten trafen sich heute Vormittag zur nächsten Verhandlungsrunde über die erneute Zulassung des weltweit meist verkauften Totalherbizids für weitere zehn Jahre. Da im EU-Berufungsausschuss heute keine qualifizierte Mehrheit dafür zustande kam, hat die EU-Kommission unserer Ansicht nach sehr schnell, nämlich noch am selben Vormittag die Entscheidung für die zehnjährige Verlängerung, allerdings mit neuen Einschränkungen, getroffen. Dabei hätte die Kommission bis 14. Dezember Zeit gehabt, da die Frist erst mit 15.12. ausläuft.

 

Die neuen Auflagen sind u.a. ein Verbot der Verwendung als Trockenmittel vor der Ernte und die Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von umliegenden Pflanzen.

Die deutsche Ampel-Koalition war sich nicht einig und enthielt sich der Abstimmung. Bundesagrarminister Cem Özdemir zur Entscheidung der EU-Kommissin: „Ich bedauere das sehr.“ Wenn man für eine Wiederzulassung sei, hätte man dies auch sehr restriktiv für einen kürzeren Zeitraum machen können, so das Handelsblatt. Die Kommission hätte also einen neuen Vorschlag einbringen können. Hat sie aber nicht. Trotz all der Kritik der Zivilgesellschaft und seitens Umweltorganisationen. So war in den letzten Wochen laut FAZ eine kürzere Verlängerung um sieben Jahre mit weiteren Einschränkungen für die Nutzung ins Spiel gebracht worden.

Österreich stimmte gemeinsam mit Kroatien und Luxembourg  – wie bereits bei der Abstimmung im Oktober und zwar aufgrund eines Parlamentsbeschlusses – gegen die Verlängerung der Zulassung.

Es bleibt spannend: Wird Glyphosatzulassung verlängert?

 

Begründung der EU-Kommissionsentscheidung

Laut FAZ stützt sich die EU-Kommission bei ihrer Entscheidung auf die Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die Anfang Juli mitgeteilt hatte, dass der Einsatz von Glyphosat keine inakzeptablen Gefahren berge. Anders liest sich dies in der Frankfurter Rundschau:“ Die EU-Lebensmittelbehörde Efsa hatte nach Auswertung tausender Studien keine abschließende Meinung zu den Umweltwirkungen von Glyphosat. Wegen fehlender Daten könne etwa der Verlust von Artenvielfalt nicht abschließend bewertet werden, erklärte die Behörde. Dass Glyphosat Schäden verursachen kann, steht hingegen fest: Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Anwendungsweisen von Glyphosat sei „ein hohes langfristiges Risiko für Säugetiere“ festgestellt worden.“

 

EU-Bürger*innen mehrheitlich gegen Glyphosat

„Der EU-Kommission fehlt somit das eindeutige politische Mandat, das Ackergift weiterhin zuzulassen. Wir erwarten, dass die Kommission dem Rechnung trägt, indem sie die Genehmigung von Glyphosat nun auslaufen lässt. Damit wird sie auch dem Willen von über einer Million EU-Bürgerinnen und -Bürgern gerecht, die die Europäische Bürgerinitiative ‚Stop Glyphosate‘ unterschrieben haben“, sagte Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut in München laut Frankfurter Rundschau. Tja, daraus wird nun leider nichts.

 

Laut Standard seien zwei Drittel der EU-Bürger*innen gegen Glyphosat. Wir auch. Wir berichteten im Oktober bereits über Glyphosat und seine möglichen Auswirkungen. Wobei es  – wie immer –  Studien gibt, die keine gesundheitliche Gefährdung sehen und solche, die es als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufen.

 

Und was ist mit den Auswirkungen auf unsere Ökosysteme? Das Bienensterben? Spielt das keine Rolle mehr? Ich kann nicht verstehen, warum wir angesichts des massiven Artensterbens und der Klimakrise so agieren. Falsch. Ich verstehe es. Es sind die wirtschaftlichen Interessen einer kleinen Gruppe, die über dem Wohl der Allgemeinheit und der Natur stehen. Einerseits wollen wir mit dem EU-Nature Restoration Law geschädigte Ökosysteme wiederherstellen, andererseits zerstören wir unsere Lebensgrundlage, indem wir sie vergiften.

 

Heftige Kritik übte laut FAZ die Europaabgeordnete der Grünen, Jutta Paulus: „Die Wiederzulassung von Glyphosat steht sinnbildlich für alles, was in der europäischen Naturschutz- und Agrarpolitik falsch läuft. Glyphosat wieder zuzulassen und gleichzeitig ein Renaturierungsgesetz zu verabschieden, ist an Absurdität kaum zu überbieten.“ Ganz unsere Rede.

 

Mitgliedstaaten können nationale Verwendung weiter beschränken

„Die nationale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat enthalten, ist Sache der Mitgliedstaaten. Sie können deren Verwendung auf nationaler und regionaler Ebene auch weiterhin beschränken, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt.“, schreibt die EU. Wir können also zumindest in Österreich Glyphosat trotz der Zulassung verbieten. Was teilweise ja bereits passiert ist. Es fehlt allerdings noch die Landwirtschaft (und damit 90% des gesamten österreichischen Glyphosatverbrauchs), die vom Verbot bis dato ausgenommen ist.

 

Keine nationalen Alleingänge

Die FAZ zu dem Thema: „Das EU-Recht erlaubt in dieser Frage allerdings keine nationalen Alleingänge. Schon im Frühjahr war in Luxemburg das nationale Verbot für Glyphosat gerichtlich aufgehoben worden. Der Grund: Solange der Wirkstoff EU-weit zugelassen ist, sei ein nationaler Sonderweg unbegründet. Zwar ist in Deutschland das Verbot von Glyphosat von 2024 an schon gesetzlich festgeschrieben. Voraussetzung dafür ist aber ein Verbot in der EU. Die Bundesregierung kann die Anwendung jedoch unter bestimmten Bedingungen in begründeten Fällen einschränken.“ Die neuerliche Zulassung erschwert also ein nationales Verbot massiv und muss sehr gut begründet werden. Ein Totalverbot ist mit EU-Recht nicht vereinbar.

 

WWF-Insektenschutzexperte Florian Lauer meinte hiezu: „Entscheidend ist nun, wie die angekündigten Einschränkungen ausfallen und welchen Spielraum sie den Mitgliedsländern lassen.“

 

Wir müssen also zehn weitere Jahre mit Glyphosat leben. Wer weiß, welche Alternativen das Verbot gebracht hätte. Manche glauben, dass diese neuen Alternativ-Herbizide noch schädlicher sein könnten. Wer weiß. Es hätte auch eine wirklch große Chance auf tiefgreifende positive Veränderungen in unserer Landwirtschaft sein können. Sein können.

 

Eine vertane Chance. Es ist zum Weinen. Wer wird die Rechnung dafür zahlen müssen? Unsere Kinder und Kindeskinder.

 

Weiterführende Links:

Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA zu Glyphosat

EFSA zu ECHA-Glyphosatstudie

FAZ zu Glyphosatzulassung 16.11.2023