Das neue EU-Lieferkettengesetz mit seinen Stärken und Schwächen
Letzte Woche einigten sich die Verhandler:innen von EU-Parlament, Ratsvorsitz und Kommission (im sogenannten „Trilog“) in Straßburg auf einen Kompromiss für die Sorgfaltspflicht-Richtlinie (auch genannt “EU-Lieferkettengesetz”). Dieses Gesetz soll große Unternehmen und Hochrisiko-Konzerne zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten und betroffenen Menschen weltweit den Zugang zu europäischen Gerichten erleichtern.
Worauf hat man sich geeinigt?
Die neue Richtlinie „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) wird dazu führen, dass große Unternehmen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten umsetzen müssen und zwar entlang ihrer Wetschöpfungskette. Damit haften Firmen künftig für Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung bei der Produktion. Also auch für Geschäftspartner und teilweise auch für nachgelagerte Tätigkeiten wie Vertrieb und Recycling. Anders als beim existierenden deutschen Lieferkettengesetz sind auch eine zivilrechtliche Haftung, Strafen und Schadenersatzansprüche bei Missachtungen vorgesehen. Das bedeutet, Betroffene können Entschädigungen einklagen und Unternehmen müssen somit Verantwortung übernehmen.
Um Klage zu erheben, haben sie sowie Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen fünf Jahre Zeit. Zudem sollen die Verfahrenskosten für Kläger beschränkt werden, was den Weg zum Gericht erleichtert.
Einführung eines Klimaplans
Artikel 15 der neuen Richtlinie schreibt die Erstellung eines Klimaplans vor. Dieser muss das Unternehmen in Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel bringen und schreibt Ziele für die Emissionsreduktion in 5-Jahres-Schritten bis 2050 vor. Allerdings bedarf es starker Kontrollbehörden, damit dieser Klimaplan nicht zu Greenwashing beiträgt, sondern Staaten tatsächlich Pläne von den Unternehmen einfordern und die Umsetzung kontrollieren. Problematisch wird von Umweltschutzoragnisationen gesehen, dass die zivilrechtliche Haftung die schwach ausgefallenen Klimaschutzmaßnahmen nicht erfasse.
“Bisher haben nachhaltige Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil – das soll das Lieferkettengesetz ändern. Hier liegt es jetzt in der Umsetzung, wie wirkungsvoll diese Klimapläne tatsächlich sein werden. Wir fordern die österreichische Regierung auf, sich hier auf die Seite einer klimagerechten Zukunft zu schlagen und für starke nationale Kontrollbehörden zu sorgen!”, fordert Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei GLOBAL 2000.
Für wen gilt das neue Gesetz?
Dieses soll für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Firmen aus Nicht-EU-Ländern werden in die Verantwortung genommen, wenn sie einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro in der EU erzielen.
In der Textilbranche, Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie – sie werden als Risikosektoren zusammengefasst – sollen auch Betriebe ab 250 Beschäftigten einbezogen werden.
Ausgenommen sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und auch für den Finanzsektor gibt es weitreichende Ausnahmen – er soll zunächst von dem Lieferkettengesetz ausgeschlossen sein, hier soll aber noch nachjustiert werden können.
Zeitplan
Die Einigung muss nun noch vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten abgesegnet werden, was jedoch als reine Formsache gilt. Im März 2024 kann mit einer fertigen Richtlinie gerechnet werden. Sofern keine abweichenden Bestimmungen getroffen werden, muss die Richtlinie in Österreich (und allen anderen EU-Staaten) innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Reaktionen darauf fielen unterschiedlich aus
Meilenstein
„Der erzielte Kompromiss stellt einen Meilenstein dar, doch der Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung ist noch lange nicht vorbei. Das Fehlen echter Klimaverpflichtungen sowie weitreichende Ausnahmen für den Finanzsektor gefährden die Effektivität des EU-Lieferkettengesetzes“, sagt Bettina Rosenberger, Koordinatorin der zivilgesellschaftlichen Kampagne Menschenrechte brauchen Gesetze!. „Dennoch wird es dazu führen, dass es in Österreich im Zuge der Implementierung erstmals eine verbindliche Konzernverantwortung geben wird.“
Trotz Schlupflöcher wichtiger Schritt
Trotz der bleibenden Schlupflöcher ist mit dem EU-Lieferkettengesetz ein wichtiger Schritt gegen Ausbeutung und für faire, menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit gelungen. Egal ob bei Kinderarbeit in Schokolade-Lieferketten oder Zwangsarbeit in der Elektronikindustrie, große Unternehmen werden sich künftig nicht mehr so leicht auf ihre Lieferanten ausreden können. Viel wichtiger noch: Geschädigte haben endlich das Recht auf Wiedergutmachung“, sagt Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte von Südwind
Enttäuschendes Ergebnis
„Statt weitere Klimazerstörung tatsächlich zu verhindern, wurde das Pariser Klimaabkommen aus dem Anhang gestrichen. So fehlt die Verknüpfung mit zivilrechtlicher Haftung“, kritisiert Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei Global 2000. Ein Hoffnungsschimmer sei aber der verpflichtende Klimaplan für größere Unternehmen.
Lichtblick für Arbeiter:innen
„Die politische Einigung auf ein EU-Lieferkettengesetz zwischen Europäischem Rat und Parlament in der letzten Nacht ist ein Lichtblick für Millionen Arbeiter*innen auf der Welt, deren Menschenrechte tagtäglich entlang der Wertschöpfungsketten international agierender Unternehmen verletzt werden. Auch Umweltverschmutzungen, die große Unternehmen verursachen, wird das Gesetz künftig einen Riegel vorschieben“, begrüßt Lukas Wank, Geschäftsführer der AG Globale Verantwortung, das Ergebnis der zu Ende gegangenen Verhandlungen.
Kritik aus Wirtschaftskreisen
Das Lieferkettengesetz bedrohe „Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten“, kritisierte etwa die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes deutscher Industrie (BDI) Tanja Gönner.