Wir müssen menschliches Leben und Handeln neu denken

Mir blieb der Satz von Dr. Friederike Otto, dass wir neue Narrative, wie unsere Welt aussehen soll, brauchen, hängen und beschäftigt mich seitdem innerlich sehr. In der pro.earth Redaktion sind Gegenmodelle zu unserem momentanen linearen, auf Wachstum und Gewinn ausgerichteten System, also alle möglichen enkeltaugliche Szenarien schon immer ein Thema. Heute will ich euch ein solches Szenario, eigentlich einen Dokumentarfilm von arte, der dieses Thema aufgreift und vertieft, vorstellen. Darin geht es um den Kreislauf des Lebens und weiterführend auf unser Wirtschaftssystems umgemünzt, die Kreislaufwirtschaft.

 

Die Gaia-Hypothese

Dem zugrunde liegt die sogenannte „Gaia-Hypothese“, bei der davon ausgegangen wird, dass das Leben auf der Erde in selbstregulierenden Zyklen abläuft und alles miteinander verbunden ist. Diese stellte der Chemiker, Biophysiker und Mediziner James Lovelock, der 104 Jahre alt wurde, in den 1970er Jahren zusammen mit der Mikrobiologin Lynn Margulis auf. Die Erde ist ihrer Theorie nach eine Art Lebewesen, ein großer Organismus. Anhand des über Millionen Jahren stabil gebliebenen Salzgehalts der Meere, des Sauerstoffgehalts der Luft und der klimatologischen Schwankungen folgerten die beiden Wissenschafter, dass Verbindungen zwischen allen leblosen und lebendigen Bestandteilen der Erde bestehen, die diese Parameter in einem für die Erdlebewesen günstigen Gleichgewichtszustand halten. „Es besteht nur eine Abstufung in der Intensität, die von der ‚materiellen‘ Umgebung der Steine und der Atmosphäre bis zu den lebenden Zellen reicht.“, so der Chemiker.

„Der Name leitet sich von Gaia, der Großen Mutter in der griechischen Mythologie, ab. Die Gaia-Hypothese motivierte ihrerseits Beschäftigungsfelder wie Geophysiologie, die Landschaftsökologie in einen holistischen Kontext stellt.“, erklärt Wikipedia.

 

Arte-Dokumentation “ Kreislauf des Lebens – die Gaia-Hypothese“

In der arte -Dokumentation wird die Geschichte von vier Visionären und Visionärinnen aus aller Welt erzählt, „deren Denken das Konzept der Kreislaufwirtschaft prägt und beeinflusst – der 102-jährige Erfinder Dr. James Lovelock, die Biomimikry-Biologin Janine Benyus, der Ingenieur und Designer Arthur Huang und der Finanzier John Fullerton. Die außergewöhnlichen Erfahrungen dieser sehr unterschiedlichen Menschen haben die Art und Weise verändert, wie sie über die Zukunft der Menschheit denken.“, so arte im Beitext. Diese außergewöhnlichen Menschen bewerten viele Aktivitäten und Denkmuster neu und zeigen uns, wie unsere Nahrung, unsere Städte, unser Finanzsystem, ja sogar die Modeindustrie zukünftig aussehen könnten, wenn wir dabei die Kapazitäten der Erde und den Grundgedanken, dass es keinen Abfall, sondern nur wertvolle Ressourcen gibt, berücksichtigen würden.

 

Die einzelnen porträtierten Persönlichkeiten

James Lovelock, Vater der Gaia-Hypothese

In hohem Greisenalter kommt James Lovelock zu Wort und beschreibt seinen Weg bis zu dieser Hypothese. Ein beeindruckender Mensch, wie ich finde. Er wurde am letzten Tag des 2. Weltkriegs 1918 beboren und starb 2022 im Sommer. Er erzählt in der Doku wie er mit vier Jahren von seinem meist abwesenden Vater eine Kiste mit verschiedensten Elektroschrotteilen bekam und dieser ihn ermunterte, was er auch immer wolle, daraus zu basteln. Dies spornte ihn unglaublich an und er vertiefte sein Verständnis für die Funktionsweise vieler Geräte und auch zum Beispiel Elektritzität. In den frühen 60er Jahren arbeitete er für die NASA vorallem an der Frage, wie man auf Grund der Analyse der Oberflächen und Atmosphären von Planeten eventuell feststellen könnte, ob es auf diesen Planeten Leben gibt oder nicht.

 

Biomimikry-Biologin Janine Benyus

In der Doku erfährt man, dass ihr Vater ihr mit 11 Jahren ein Profi-Mikroskop sogar mit Namensschild und den dazugehörigen Reagenzgläsern und Glasblättchen sowie einem Buch über die professionelle Verwendung von Mikroskopen schenkte und ihr damit eine neue Welt eröffnete. Mit einem einzigen Tropen Teichwasser konnte sie unzählige mikroskopisch kleine Tierchen beobachten. Dies war der Beginn ihres lebenslangen Interesses an biologischen Vorgängen.

 

Benyus prägte den Begriff Biomimikry ihrem Buch „Biomimicry: Innovation Inspired by Nature“, und gründete in den 1990er Jahren auch das erste Biomimikry-Institut. Dabei geht es darum, „von der Natur zu lernen, um menschliche Probleme durch nachhaltige Innovationen zu lösen. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern „bios“ (Leben) und „mimese“ (Nachahmen) zusammen. Teilweise wird auch von Biomimetics (deutsch Biomimetik) gesprochen.“, schreibt die Website linetocircle.

 

Verbindung zwischen Biomimicry und Kreislaufwirtschaft

„Auch das Konzept der Kreislaufwirtschaft basiert letztendlich auf den Kreisläufen in der Natur, wodurch es eng mit der Idee von Biomimicry verbunden ist. Die Nachahmung der Natur ist aber auch ein guter Ansatz, um Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Denn für den Wandel von einer linearen Welt mit Abfall hin zu einer Kreislaufwirtschaft brauchen wir vor allem bessere Lösungen im Design von Produkten – und hier können wir von der Natur lernen.“ schreibt linetocircle weiter.

Wie sagt sie so wunderbar im Film: Der Abfall des einen kann der Rohstoff des anderen sein. Und nachdem alles im System vorhanden bleibt, sollten wir uns die Abfälle, die wir zum Beispiel in den Globalen Süden verschiffen, wieder herholen und sie als sehr wertvolle Ressource nutzen.

 

Arthur Huang und die Kreislaufwirtschaft

Der taiwandesische Architekt und Designer Arthur Huang wird ebenfalls porträtiert und sein Schaffen dargestellt. Plastikmüll besitzt ein unbegrenztes Potenzial der Wiederverwertung. Vor allem in der Kreislaufwirtschaft sieht er die Zukunft eines „Konsums ohne Verschwendung“.

 

Kreislaufwirtschaft beschreibt arte im Beitext zur Dokumentation sehr treffend so: “ … ein Wirtschaftssystem, das auf der Idee basiert, dass nichts verschwendet werden sollte. Es ist eine täuschend einfache Idee – und eine, die im Herzen der Natur und der natürlichen Welt liegt, aber sie ist weit entfernt von der Art und Weise, wie die meisten von uns unser Leben im 21. Jahrhundert leben – und sie hat das Potenzial, die Ressourcen unseres Planeten zu retten und uns vor den Verwüstungen des zukünftigen Klimawandels zu bewahren.

 

„Mit dem solarbetriebenen Trashpresso möchten wir Menschen inspirieren“, erzählt Architekt Arthur Huang seinen Grundansatz. „Indem wir Leuten den Prozess des Recyclings zeigen, auch wie sie selbst recyceln können, wollen wir einen maßgeblichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein leisten – bis in die entlegensten Gegenden der Welt“.

 

Seine Ideen und Umsetzungen haben mich tief beeindruckt und auch wie weit er bereits ist – wie sein Haus mitsamt des gesamten Inventars, das aus Abfällen kreiert wurde – wie zum Beispiel die Vase aus alten Smartphone-Displays. Oder das Krankenhaus mit 96 Zimmern aus Abfällen – einfach großartig.

 

Finanzier John Fullerton

Er war mitten drin im kapitalistischen System als Managing Director von J.P. Morgan, wo er 18 Jahre lang tätig war, bevor er aus dem System ausstieg. Seit 2014 ist er Vollmitglied des Club of Rome und schrieb 2015 das Buch „Regenerative Capitalism: How Universal Principals And Patterns Will Shape Our New Economy“. Er gründete das Capital Institute, das sich selbst als Non-Profit-Organisation beschreibt, die das Finanzsystem durch ihr Netzwerk in der Privatwirtschaft sowie durch die Kooperation mit Akademikern aus unterschiedlichen Disziplinen verändern möchte. “Die universellen Muster und Prinzipien, die der Kosmos nutzt, um stabile, gesunde und nachhaltige Systeme in der realen Welt zu erschaffen, können und müssen genutzt werden als Modell für das Design von Wirtschaftssystemen.”, meint Fullerton.

 

In seiner Zukunftsvision werden wir von Konsument:innen zu Kund:innen. Ein Beispiel ist die Waschmaschine. Diese erhält man vom Hersteller „geliehen“, wird von diesem gewartet und repariert und am Ende ihrer Lebenszeit wieder zurückgenommen und deren Einzelteile neu verwertet. Unternehmen sehen sich also nicht mehr als Verkäufer von Sachen sondern stellen Dienstleistungen rund um Güter zur Verfügung. Ein anderes Beispiel kommt aus der Lebensmittelproduktion. Ein Unternehmen, in das Fullerton investiert hat, produziert Karpfen. Die nicht verkauften Teile der Fische werden Krabben verfüttert. Das Wasser aus der Krabbenzucht wiederum wird verwendet, um Paradeiser und Basilikum anzubauen. Zirkuläres Wirtschaften, das sich die Natur als Vorbild nimmt.

 

Diese Dokumentation hat Lust auf mehr gemacht. Und stimmt mich freudig auf das, was da kommen darf, wenn wir es zulassen. Was wir sollten. Wie ich finde.