„Das ist ein fantastischer Innovationsauftrag“ – Transformationsforscherin Maja Göpel
Wer welche Ressourcen für den eigenen Wohlstand wie stark nutzen darf – Gerechtigkeit ist die zentrale Frage bei der Problematik der Erderwärmung und muss dringend beantwortet werden, damit nicht die Grundlagen in Summer kaputt gehen, so die Transformationsforscherin Maja Göpel. Die wissenschaftliche Direktorin am The New Institute in Hamburg zählt zu den bekanntesten Expertinnen zum Thema nachhaltige Entwicklung. Die Wissenschaftlerin und Autorin berät seit vielen Jahren Politik und Unternehmen in Fragen der nachhaltigen Entwicklung und entwirft Handlungsoptionen für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Ihre Arbeit widmet Göpel der Frage, wie sich hohe Lebensqualität für alle Menschen innerhalb der Planetaren Grenzen erreichen und sichern lässt.
„Nachhaltige Zukünfte entstehen durch gemeinschaftliche Lernprozesse, verbindliche Regeln und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Diese mit Ehrfurcht für Leben, Klarheit in Gedanken und Fokus auf Selbstwirksamkeit anzugehen, ist Ziel meiner Arbeit in Theorie und Praxis.
Gerade in Transformationszeiten wie heute helfen der Blick für das Wesentliche und mutige Menschlichkeit. Die haben wir alle in uns.“, schreibt Maja Göpel auf ihrer Website.
Ihr Werdegang
Auf ihrem Berufsweg nahm Göpel verschiedene Positionen ein: Als Direktorin des World Future Council setzte sie sich für eine generationengerechte Politik ein. Als Leiterin des Berlin Büro des Wuppertal Instituts entwickelte sie theoretische wie praktische Konzepte für transformativen Wandel im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Danach war Göpel Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, insbesondere zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Direktorin des The New Institute, dessen Ziel die Gestaltung gesellschaftlichen Wandels ist, vermittelt Göpel als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität und Sachbuchautorin zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und hat 2019 die Intiative Scientists for Future mitbegründet. Für diese Schnittstellenarbeit erhielt sie den Adam-Smith-Preis für marktwirtschaftliche Umweltpolitik, den ZEIT Wissen Preis Mut für Nachhaltigkeit und den B.A.U.M. Umwelt- und Nachhaltigkeitspreis. Desweiteren erhielt sie für ihre Arbeit die Science Communication-Medaille und den Theodor Heuss Preis.
Ihre Bücher
Sie beschäftigt sich in ihren Büchern „Unsere Welt neu denken“ (2020) und „Wir können auch anders“ (2022) mit Themen der Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit und gilt seit deren Erfolg als eine der wichtigsten Vordenkerinnen für eine ökologisch-zentrierte Welt. In ihrem Bestseller „Unsere Welt neu denken – eine Einladung“ entwirft sie Szenarien für ein neues Fortschrittsmodell.
„Mein Anliegen war und ist es, dass wir uns aus den vermeintlichen Gegensatzpaaren Staat versus Markt, Verbote versus Freiheit, Verzicht versus Konsum befreien, die auch den öffentlichen Diskurs und das neue Handeln so stark blockieren. Das habe ich in dem Buch kapitelweise dargestellt, um zu zeigen, dass diese Trennschärfe in der Realität gar nicht existiert. Und noch wichtiger, dass sich die normative Wertung von Maßnahmen nur dann sinnvoll diskutieren lässt, wenn wir historisch und kontextuell genau hingucken. Verbote können Freiheitsgewinn bedeuten – oder staatliche Interventionen überhaupt Märkte schaffen.“ sagt die Transformationsexpertin gegenüber taz anlässlich des Erfolges ihres 2020 erschienen Buches „Unsere Welt neu denken“ .
„Die Art, wie wir leben, wird sich fundamental verändern. Bisherige Selbstverständlichkeiten in Umwelt, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Technologie zerbröseln. Doch dieses Buch macht Mut: Auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse verdeutlicht Maja Göpel, wie wir solche komplexen Entwicklungen verstehen und dieses Wissen für eine bessere Welt nutzen können. Denn in der Geschichte hat es immer wieder Große Transformationen gegeben. Sie wurden von uns Menschen ausgelöst – also können wir sie auch gestalten. Unser Fenster zur Zukunft steht offen wie nie.“, schreibt Ralph Gerstenberg in seiner Buchkritik über Maja Göpels Sachbuch „Wir können auch anders“.
„Die weltweiten Krisen offenbaren, dass unser Verständnis von Wertschöpfung, Innovation, Organisation und Bildung dringend ein Update braucht. Die Welt und unser Wissen über sie hat sich in den vergangenen 50 Jahren radikal verändert und diese Erkenntnis muss jeder Suche nach zukunftsfähigen Lösungen vorgeschaltet werden. Dafür brauchen wir couragierte Akteure, die über bisherige Grenzen hinweg kommunizieren und agieren. Hier leistet der WWF einen wichtigen Beitrag“, so Göpel angesichts ihrer Ernennung in den WWF-Stiftungsbeirat.
Im Interview zu Demokratie und Nachhaltigkeit
Göpel ist vielfach gefragte Interviewpartnerin und daher haben wir hier einige Ausschnitte ihrer Aussagen aus vergangenen Interviews zusammengefasst.
Auf die Frage der tagesschau im Dezember 2023, ob unsere Bemühungen angesichts der Temperaturrekorde zu spät kommen, antwortet die vielseitige Wissenschaftlerin: “ Ein zu spät gibt es in diesem Fall gar nicht. Worüber wir die ganze Zeit verhandeln, ist das Ausmaß der Veränderung, das wir unserem Ökosystem zumuten und damit natürlich auch die Lebensbedingungen für uns Menschen verändern. Es gibt Ziele, die berechnet wurden, wie das 1,5- Grad-Ziel. Diese Ziele haben so etwas wie den sicheren Umweltraum markiert, also bis da sind es klimatisch stabile Bedingungen.
Wenn wir das überreißen, dann wird es ungemütlich. Aber das heißt nicht, dass der Klimawandel entweder an oder aus ist, sondern eine um zwei Grad veränderte Welt ist immer noch deutlich besser als drei oder vier Grad. Und deshalb gilt weiterhin: Jeder Schritt, so früh wie möglich, zählt.“
Ein fantastischer Innovationsauftrag
Im selben Interview an anderer Stelle spricht sie davon, dass es nun Innovationssprünge brauche, nachdem die Zeit der kleinen Schritte ungenutzt vorübergezogen sein. „Das heißt, dass wir wirklich konsequent darüber nachdenken, im gesamten Prozess von der Wiege bis zur Bahre, wie können wir möglichst minimal in die Ressourcen eingreifen und vor allem auch minimal Emissionen ausstoßen? Und da gibt es viel zu tun. Deshalb sprechen wir von Strukturwandel. Aber das ist natürlich auch ein fantastischer Innovationsauftrag.“
Menschenschutz statt Klimaschutz
„Es gibt Neuro-Wissenschaftler:innen, die ganz klar sagen, man müsse von Menschenschutz sprechen. Das passiert ja auch teils schon dadurch, dass von Planetary Health gesprochen wird. Es geht um die menschliche Gesundheit in Abhängigkeit von „gesunden“ Ökosystemen: Wenn es zu heiß wird, können wir uns nicht mehr fortbewegen, es gibt zu wenig Wasser, Wälder und Feuchtgebiete trocknen aus, die Artenvielfalt bricht ein – nicht besonders artgerechte Haltung für ein biologisches Wesen wie uns Menschen. Unsere Wirtschaft und unser Wohlstandsmodell sollten sich primär daran orientieren, dass wir eine verlässliche und gesunde Daseinsvorsorge erhalten.“ so die Autorin vorige Woche im Interview mit Watson.
Was gute Klimaschutzmaßnahmen ausmacht
„Da sind drei Dinge entscheidend: Die Maßnahme muss im Verhältnis zum Ziel stehen, sie muss also eine ausreichende Wirkung haben. Außerdem muss sie fair sein, also eine Art Wertekompass eingebaut haben, der die Verletzlichsten schützt. Und jede einzelne Person interessiert natürlich, was das mit der eigenen Situation macht.“, erklärt die Politökonomin gegenüber Watson.
Selbstbewußtes Europa
Es sei nicht sinnvoll, auf andere wie die USA und China zu blicken und zu glauben, dass sich eigene Anstrengungen nicht lohnten, sagte Göpel im Interview mit Deutschlandfunk Nova im November letzten Jahres . Ein verschwenderischer, Müll produzierender, unnötig zerstörender Lebensstil müsse in Europa nicht sein. Denn der Kontinent verfüge über genügend Technologien und Ideen für Qualität und Langlebigkeit.
Gute Bildung
„Gute Bildung bedeutet für mich die Einladung, den Dingen auf den Grund zu gehen und die Befähigung, mit diesen Einsichten zukünftige Realitäten mitzugestalten. Wir sind stark in einem instrumentellen Bildungsverständnis verhaftet, obwohl wir wissen, dass die Lösungen von heute nicht die von morgen sein können“, erklärte die Autorin gegenüber dem Global Goals Curriculum 2030.
Scientists for Future (S4F oder auch Scientists4Future)
Jeder könne seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten, so Göpel. Die Scientists for Future hätten dazu mal die sogenannten „6 F“ definiert. Die ersten vier F stehen für „Fliegen“, „Fleisch“, „Fummel“ und „Finanzen“. Alles Alltagsentscheidungen, bei denen ein bewusster Konsum zu einem anderen Produktangebot führen würde. Die letzten beiden F stehen für „Funken“ und „Flagge zeigen“, also dafür, seine Mitmenschen ohne erhobenen Zeigefinger zu überzeugen und bei den politischen Verantwortlichen langfristige Strategien zur Lösung von Problemen einzufordern.
Fotoquelle: Von Autor/-in unbekannt – Downloads on scientists4future.org, CC0,
Architects4Future
Architects4Future wird in einem Podcast mit der Zeit ebenfalls von Göpel angeführt. Die Art und Weise, wie wir den vorhandenen Platz ohne weiteren Bodenverbrauch nutzen, ist entscheidend dafür, wie nachhaltig wir in Zukunft leben werden. Die vielseitige Politökonomin wuchs in einem Bauernhaus, das eigentlich für eine Familie gedacht war, mit einer weiteren Familie gemeinsam auf und hat auch selbst eine Wohnform gemeinsam mit anderen für sich und ihre eigene Familie gewählt. Gemeinsam statt einsam zu wohnen und zu leben, bietet viele Chancen. Dazu müssen Wohnräume viel modularer und vielfältig nutzbarer gestaltet sein, als die üblichen Einfamilienhäuser es bis dato sind.
Architects4 Future steht für einen klima- und sozialverträglichen Bausektor ein. „Dieser soll vollständig auf nachhaltiges Bauen und Betreiben von Gebäuden umgestellt werden, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen und die Lebensqualität unserer gesamten Umwelt zukunftssicher zu gestalten.“
Zur Website von Prof. Maja Göpel
Ullstein Verlag „Unsere Welt neu denken“
Titelfoto von Elena Ternovaja – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,