Nach Protesten Rücknahme des Pestizidvorschlags – quo vadis?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gestern im Europäischen Parlament in Straßburg angekündigt, die sogenannte „SUR-Verordnung“ zurückziehen, die ein Pestizidreduktionsziel von 50 Prozent bis 2030 vorsah. Die Entscheidung folgt auf den gescheiterten Versuch Ende letzten Jahres, eine gemeinsame Position im EU-Parlament zu finden. Von der Leyen stellte in ihrer gestrigen Rede fest, dass der SUR-Vorschlag zu einem Symbol der Polarisierung geworden ist. SUR steht für Sustainable Use Regulation.

 

„Es geht darum, die Polarisierung der Debatte zu überwinden“, so von der Leyen. Angesichts der EU-weiten Proteste vieler Landwirt:innen in den letzten Wochen erklärte sie, dass es attraktive wirtschaftliche Anreize für Naturschutzmaßnahmen bräuchte. „Nur, wenn wir gemeinsam unsere Klima- und Umweltschutzziele erreichen, erhalten die Landwirte ihre Lebensgrundlagen.“ Die Agrar- und Ernährungsbranche brauche nachhaltige Perspektiven.

 

Hintergrund

Die Europäische Kommission hatte einen Vorschlag für eine neue Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ausgearbeitet, der EU-weite Zielvorgaben für die Verringerung des Einsatzes und der Risiken chemischer Pestizide um 50 % bis zum Jahr 2030 enthält und mit den EU-Strategien „vom Erzeuger zum Verbraucher“ (Farm-to-Fork) und „biologische Vielfalt“ (Biodiversity) im Einklang steht.

 

Dieser fand im November letzten Jahres allerdings keine Mehrheit im EU-Parlament, wie wir berichteten. Dennoch arbeiteten die EU-Agrarminister weiter an einer Formulierung der VErordnung unter der spanischen EU-Präsidentschaft. Auch im Jänner, nach Übernahme der EU-Rpäsidentschaft durch Belgien wurde weiter an einem Kompromiss gearbeitet. Diese wollten zumindest Teile der Verordnung retten, insbesondere diejenigen, die sich auf Alternativen zu chemischen Pestiziden, nämlich biologischen Schädlingsbekämpfungsmittel, beziehen. Bis dato allerdings ohne Erfolg.

 

Wichtiger Schritt zur EU-Pestizidreduktion

 

Schwarzer Tag für Gesundheit

Als „schwarzen Tag für die Gesundheit und die Artenvielfalt“ bezeichnete das Pestizid-Aktionsnetz den gestrigen Tag, eine NGO, die sich für die Verringerung des Pestizideinsatzes weltweit einsetzt. Dies ist nicht der erste schwarze Tag in den letzten Monaten …. .

„Die Ankündigung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das Pestizidgesetz SUR zurückzuziehen, bedeutet das Ende einer verheerenden Opposition, angeführt von der Agrochemie-Industrie, gegen eine gesündere, zukunftsfähige Landwirtschaft in der EU“, heißt es in der Erklärung.

 

Dieser Aussage stimmen andere Umweltorganisationen wie Global 2000 zu.

“Diese Polarisierung ist jedoch das Ergebnis einer jahrelangen Desinformationskampagne der Europäischen Volkspartei, die mit irreführenden und falschen Behauptungen, meist ohne Belege, gegen verbindliche EU-Pestizidreduktionsziele kämpfte. Mehr als 6000 Wissenschaftler:innen hatten im Frühjahr 2023 die Argumente der konservativen Politiker:innen in einem sorgfältigen und detaillierten Faktencheck widerlegt.“, so Global 2000 in einer Presseaussendung.

 

Die Rücknahme der SUR im Vorfeld der EU-Wahlen ist laut Global 2000 ein sehr negatives Signal an die Bürger:innen: Viele Landwirte in Europa zeigen bereits, dass eine ehrgeizige Reduzierung von Pestiziden möglich ist, und zwar innerhalb des richtigen Rahmens, der ihnen den Übergang ermöglicht und sie für ihre Arbeit belohnt. Die Rücknahme der SUR lässt die Bäuer:innen im Stich, indem sie diesen dringend notwendigen Übergang in eine klima- und bienenfreundliche Landwirtschaft weiter verzögert.

 

SUR-Vorschlag war widersinnig

Im Gegensatz dazu sind  Vertreter:innen der Landwirtschaft erfreut über die neuesten Entwicklungen. „Es ist höchst an der Zeit, dass die EU-Kommission die Kritik von bäuerlicher Prasxis, Interessenvertretung und auch Wissenschaft ernst nimmt und ihre Fehler ausbessert. Der SUR-Vorschlag war widersinnig, unpraktikabel und chaotisch konzipiert und hätte die ohnehin nachhaltige landwirtschaftliche Produktion weitgehend verunmöglicht. Stattdessen hätte er lediglich CO2-intensive Importe von Lebensmitteln verstärkt, deren Produktionsweise bei uns verboten wäre. Da wäre keinem geholfen gewesen, auch nicht Umwelt, Klima und Lebensvielfalt – ganz im Gegenteil!“, meint etwa Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ)-Präsident Josef Moosbrugger .

 

Rechtliche Schritte gegen EU-Glyphosat-Wiederzulassung

Fast zeitgleich, mit Ende Januar 2024, hat ein Konsortium aus sechs NGOs – PAN Europe, GLOBAL 2000, ClientEarth (EU), Générations Futures (Frankreich), PAN Germany und PAN Netherlands – juristische Schritte zur Anfechtung der jüngsten Entscheidung der Europäischen Kommission zur Wiederzulassung von Glyphosat eingeleitet. Nach einer eingehenden Prüfung des Verfahrens zur Wiedergenehmigung von Glyphosat und der Feststellung mehrerer kritischer Mängel haben die Umweltschutzorganisationen bei der EU-Kommission gestern einen Antrag auf interne Überprüfung eingereicht.

Es ist zum Weinen: EU verlängert Glyphosat um zehn Jahre

 

Die Europäische Kommission, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) sind ihrer Verpflichtung zum Schutz der europäischen Bürgerinnen und Bürger und der Umwelt nicht nachgekommen, sie haben sich nicht an das EU-Recht und die Rechtsprechung zur Pestizidverordnung und das Vorsorgeprinzip gehalten.

Die Europäische Kommission hat Glyphosat erneut für 10 Jahre zugelassen, obwohl es eine Fülle wissenschaftlicher Beweise für dessen Toxizität für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gibt. Die Europäische Kommission hat nun 22 Wochen, also bis Ende Juni, Zeit, um formell auf den Antrag zu antworten. Sollte die Kommission die Zulassung von Glyphosat nicht widerrufen, werden die NGOs vor Gericht ziehen.

 

Unser pro.earth.Fazit:

Es bleibt auf allen Ebenen spannend. Wir können ein hhartes Ringen um unsere Zukunft beobachten, wo konservative Kräfte mit unterschiedlichsten Mitteln gegen Einschränkungen und dringend notwendige Maßnahmen ankämpfen, weil es für so manchen mit einkommensbußen einhergehen wird. Auf der anderen Seite ringen Kräfte, die die Notwendigkeit und Dringlichkeit sehen, um die Durchsetzung unbequemer, vieles verändernde Regelungen unseres Lebens. Dieses Aushandeln, das Ringen um einen Kompromiss, im allerbesten Falle um einen Konsens, ist ein zutiefst demokratischer Prozess. Wir würden uns sehr wünschen, dass das Bewusstsein um die Dringlichkeit in alle Köpfe dringt.