Ein herber Rückschlag für Umwelt und Ernährungssicherheit

Nach monatelangen Verhandlungen hat das Europäische Parlament am Mittwoch, dem 22.11.2023 keine Position zur Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) gefunden. Der Antrag, den Vorschlag an den Umweltausschuss zurückzuweisen, wurde auch abgelehnt. Im Ergebnis können die Trilog-Verhandlungen nicht beginnen und es wird keine Pestizidverordnung geben. Viele EU-Bürger:innen haben sich für einen kompletten Ausstieg aus chemisch-synthetischen Pestiziden bis 2035 ausgesprochen, doch die konservativen, rechten und liberalen Kräfte im Parlament verhinderten das erfolgreich. Ein sehr enttäuschendes Ergebnis, bedenkt man, wie wichtig eine Pestizidreduktion angesichts des aktuellen Artensterbens ist. Und das zweite innerhalb kurzer Zeit, siehe Verlängerung der Glyphosatzulassung.

 

Was das SUR genau ist und welche Problemfelder es im Vorfeld dieser Abstimmung gab, kann man hier nachlesen:

Wichtiger Schritt zur EU-Pestizidreduktion

 

Gefährdet die Ernährungssouveränität

„Diese Entscheidung gefährdet die Ernährungssouveränität und die Gesundheit heutiger und kommender Generationen. Sie bremst den notwendigen Wandel hin zu einer umweltverträglichen und die Natur bewahrenden Landwirtschaft aus. Das dient kurzfristig den Interessen einzelner Verbände und Wirtschaftsunternehmen, schadet aber letztlich den landwirtschaftlichen Betrieben in Europa. Landwirtinnen und Landwirte, die bereits mit verringertem Pestizideinsatz arbeiten, brauchen jetzt Unterstützung auf anderen Wegen, beispielsweise über Instrumente der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP).“, meint dazu Dr. Peter Weißhuhn, Projektleiter Insektenschutz beim WWF Deutschland.

 

Schlag ins Gesicht

“Das ist ein Schlag ins Gesicht für die mehr als 1 Million Europäer:innen, die im Rahmen der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative ‚Bienen und Bauern retten‘ verbindliche Pestizidreduktionsziele gefordert haben. Das ist das denkbar schlechteste Ergebnis für die Umwelt, die langfristige Ernährungssicherheit und die Demokratie”, sagt Helmut Burtscher-Schaden, GLOBAL 2000 Umweltchemiker.

Es ist eine Schande für die Europäische Union, die sich vor einem Jahr bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal (COP 15) für eine verbindliche Reduktion des Risikos von Pestiziden stark gemacht hat, damit Erfolg hatte, und jetzt selber den Gesetzesvorschlag zur Implementierung dieser Ziele zurückweist, so GLOBAL 2000 in einer Presseaussendung.

 

Kommt Absage des Green Deals gleich

Den Abbruch der Verhandlungen zur EU-Pestizidverordnung (SUR) kommentiert Florian Schöne, Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR):

„Heute ist ein schlechter Tag für die Umwelt. Die Entscheidung des Europäischen Parlaments zeigt: Eine Mehrheit aus Konservativen und Rechten lehnt echte Fortschritte zur Eindämmung des Artensterbens ab. Der übermäßige Pestizideinsatz in der Landwirtschaft hat gravierende Auswirkungen auf die Biodiversität, verunreinigt Böden und Gewässer und wirkt sich negativ auf die menschliche Gesundheit aus. Zudem sollte mit der SUR das Ziel rechtlich verankert werden, bis 2030 den Einsatz und das Risiko von Pestiziden in der EU zu halbieren. Diese Entscheidung kommt einer Absage an den europäischen Green Deal gleich, der wichtigsten Errungenschaft der laufenden Amtszeit der EU-Kommission.“

 

Starke Agrarlobby führt zu schwarzen Tag für Umwelt

Sarah Wiener, Grüne EU-Abgeordnete und Berichterstatterin für die Verordnung, kommentiert: “Das ist ein schwarzer Tag für die Umwelt, unsere Gesundheit, aber auch für die Zukunft der Landwirtschaft. Angetrieben von den starken Lobbys der Agrar- und Pestizidindustrie ist es den konservativen und rechten Abgeordneten des Europäischen Parlaments gelungen, die Pestizidverordnung in fast allen Punkten zu schwächen. Neben der Verabschiedung zahnloser Reduktionsziele haben sie auch den Schutz von Kindergärten, Schulen und Altenheimen in sogenannten sensiblen Gebieten gestrichen. Die finanzielle Förderung für Bäuerinnen und Bauern während der Transformation wurde ersatzlos gelöscht und auch der verbindliche Integrierte Pflanzenschutz ist gefallen – also das Ausschöpfen von Präventivmaßnahmen vor dem Ausbringen chemischer Pestizide, etwa durch Fruchtfolgen und agrarökologische Maßnahmen.“

Dieser Bericht hätte weder Umwelt und Gesundheit geschützt, noch eine Veränderung in der Landwirtschaft angestoßen und damit keines der Ziele der SUR erfüllt. Letztendlich war der Text für niemanden gut genug, um ihn zu unterstützen und wurde abgewiesen. Eine herbe Enttäuschung, nachdem wir im Umweltausschuss praktikable Lösungen gefunden hatten. Damit hat das Parlament keine Position und es kann vorerst keine Trilogverhandlungen geben.

Es ist enttäuschend, dass die konservativen und rechten Fraktionen im Parlament sich bis zum Schluss nicht ihrer Verantwortung bewusst geworden sind und weder Kompromisse vorgeschlagen, noch sich auf andere eingelassen haben. Dieses Ergebnis hätte vermieden werden können.”

Auch die SPÖ äußert sich ähnlich: „Eine Koalition aus Konservativen, Rechten und Liberalen hatte zuvor den eigentlich tragfähigen Kompromiss durchlöchert und schlussendlich sogar die Rückverweisung an den Ausschuss verhindert“, kritisiert SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl. „Das ist ein Kniefall vor den Interessen der großen Agrar- und Chemiekonzerne und lässt tief blicken, für wen die EVP (Europäische Volkspartei, Anm.) eigentlich Politik macht.“

 

Bitter für Green-Deal

Sehr gut zusammengefasst wird das Thema unserer Meinung nach in diesem Audio-Beitrag von Holger Beckmann.

Holger Beckmann, ARD, tagesschau, 22.11. 2023, 17.27 „Bitter für den Green-Deal: EU-Parlament lehnt Pestizidverordnung ab“