Soziokratie – das Betriebssystem einer nachhaltigen Wirtschaft
Letzte Woche wurde im Ö1 Radiokolleg das Thema „Soziokratie“ präsentiert. Diese Methode des Miteinanders, bei dem es keine Gewinner und Verlierer gibt, scheint uns ein möglicher Weg zu sein, gemeinsam eine enkeltaugliche Welt zu schaffen, in der alle am gemeinsamen Ziel arbeiten. Man begegnet einander auf Augenhöhe und jede Stimme wird gehört. Jedoch mit einem genau strukturierten Prozedere, damit Kampfabstimmungen und Hick-Hack keinen Platz haben.
„Meine Mission ist es, beim notwendigen Wandel unserer Gesellschaft mitzuwirken, hin zu einer partizipativen Demokratie mit vernetzten soziokratischen Organisationen und Unternehmen, und einer politischen Struktur mit soziokratischen Nachbarschaftskreisen, wie Gerard Endenburg sie visioniert hat.”
Barbara Strauch, Gründerin Soziokratiezentrum
Begrifflichkeiten klären
Das Wort Soziokratie setzt sich aus dem lateinischen „socius“, das sind die Gefährten, und „kratein“, also regieren, zusammen. Die Entscheidungskompetenz liegt bei denjenigen, wo das Problem tatsächlich auftritt.
In den 1970 er Jahren hat der Niederländer Gerard Endenburg die Soziokratische Kreisorganisationsmethode für sein Elektronikunternehmen entwickelt, um bessere Betriebsergebnisse zu erzielen.
„Die Soziokratische Kreisorganisationsmethode SKM bietet ein fundiertes Organisationsmodell für Unternehmen und Organisationen aller Art, um effektive Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu erreichen. Die SKM-Prinzipien weisen einen Weg um partizipative Entscheidungsstrukturen aufzubauen und Selbstorganisation zu ermöglichen.“, erklärt der Verband der deutschsprachigen Soziokratie-Zentren auf seiner Website.
Soziokratie fußt auf den folgenden vier Säulen
Diese vier Prinzipien sind die grundlegenden Gestaltungselemente jeder soziokratischen Organisation und ermöglicht die Gleichwertigkeit in der Beschlussfassung und Selbstorganisation von Teams über die gesamte Organisation hinweg.
Der Konsent
Alle Entscheidungen werden in einem moderierten Rahmen so beschlossen, dass jede:r gehört wird und es keine schwerwiegenden Einwände gegen den Lösungsvorschlag geben darf.
Konsent= ich habe keinen schweren Einwand dagegen
Es lässt sich in einer Gruppe leichter ein gemeinsamer Nenner finden, wenn man fragt, wo niemand was dagegen hat als wenn man fragt, was jeder am liebsten hätte. Dies bedeutet, dass jede:r dieser Gruppe die Entscheidung toleriert, die noch dazu immer eine vorläufige ist und zu einem späteren Zeitpunkt – zum Beispiel in sechs Monaten oder einem Jahr – wieder aufgegriffen und eventuell an veränderte Bedingungen angepasst werden kann. Die Lösung muss nur „gut genug für den Moment“ sein.
Die Kreisorganisation
In einer Kreisorganisation wird die Verantwortung und die Macht, die in klassischer Linienführung bei einer Person geballt ist, auf mehrere Schultern verteilt, was zu einer Entlastung der Führungspersonen und gleichzeitig Beteiligung und Empowerment der anderen Kreismitglieder führt. Es gibt immer einen zentralen Kreis und autonom funktionierende Kreise zu spezifischen Themen
Die doppelte Verknüpfung
In jedem Kreis ist eine Person des zentralen oder Leitungskreises integriert und in diesen wird auch ein:e Delegierte:r aus jedem Kreis entsandt. Damit können die Interessen der einzelnen Kreise nicht übergangen und der Informationsfluss sichergestellt werden.
Offene Wahl
Personen werden in einer offenen Wahl innerhalb eines moderierten Prozesses durch Konsent für Aufgaben und Funktionen nominiert.
Vorteile der Soziokratischen Kreisorganisationsmethode SKM
Weg aus Krise
Im Radiokolleg wird zum Beispiel ein Wohnprojekt in Wien vorgestellt, das in einer sehr schwierigen Phase, in der Frustration und Überforderung eine große Rolle spielten, in Zusammenarbeit mit der SKM-Expertin Barbara Strauch aus der Krise gefunden hat. Die Gruppe wurde dadurch wieder handlungsfähig und die SKM hat zu einer Entlastung der zuvor überforderten Personen geführt.
Schwarmintelligenz nutzen
Durch die Erarbeitung von Lösungen in Arbeitskreisen, wo auch die, die leise sind und normalerweise in Hierarchien eher untergehen, ihren Beitrag einbringen, entstehen Lösungen, die Einzelpersonen so nicht gefunden hätten. Dadurch, dass alle diese Lösungen tolerieren, werden sie auch viel besser von den Mitarbeitenden mitgetragen.
Höhere Identifikation mit Organisation
Die SKM führt auch zu einer stärkeren Identifikation mit der Organisation bzw. dem Unternehmen, weil sich Mitarbeitende als wertgeschätzter Teil des Ganzen fühlen und Möglichkeiten der Mitgestaltung und der Eigenverantwortung haben.
Förderungen der Eigenverantwortung
Nachdem jede Stimme zählt und man sich in immer wieder neu entstehenden Arbeitskreisen einsetzen kann, ist jede:r einzelne viel mehr am Gesamtprozess beteiligt und mitverantwortlich. Man muss sich eine eigene Meinung bilden, diese vertreten und aktiv mitarbeiten.
„Wenn diese Methode stimmig eingesetzt wird, ist sie wahrlich wohltuend.“
SKM-Experte Günter Strobl
Hohe Transparenz
Der Prozess der Lösungsfindung, in dem zuerst das Problem gemeinsam ergründet, mögliche Lösungswege skizziert und dann die vielversprechendste Lösung gewählt wird, ist sehr transparent. Diese hohe Transparenz beschleunigt die Umsetzung, weil alle Beteiligten das „Warum“ verstehen.
Entscheidungsfreudigkeit von Gruppen
Durch den Konsent geht es nicht darum, dass eine Person ihre Lieblingslösung durchboxen will. Es entsteht in der Gruppe eine größere Schnittmenge an möglichen Lösungen und dies schlägt sich auch in einer höheren Entscheidungsfreudigkeit nieder.
Anwendungsbereiche
Wo kann Soziokratie angewendet werden? Es gibt keine Grenzen. Man kann es in Vereinen, Unternehmen, auf Gemeindeebene, in Schulen, Spitälern, Pflegeheimen, Genossenschaften, Wohngemeinschaften und vielem mehr anwenden.
Weiterführende Links
Verband deutschsprachiger Soziokratiezentren
Beteiligungskonzepte für Gemeinden
Moderne Unternehmenskultur und Soziokratie
Zehn Halbwahrheiten über Soziokratie
Radio Ö1 Radiokolleg „Soziokratie: Selbstorganisation im Konsent (1)“