Leiden wir an einer kollektiven posttraumatischen Belastungsstörung?

Diese Theorie stellt Prof. Dr. Klaus Hurrelmann im Interview mit der taz auf. Es wäre auch kein Wunder: Klimakrise, Pandemie, Krieg, Inflation, wachsende Flüchtlingsströme – das schafft uns.

 

In der Studie „Jugend in Deutschland“ wurden Menschen bis 30, aber auch die Altersgruppen 30 bis 50 und 50 bis 70 Jahre einbezogen um die Entwicklung der Jugend besser im Kontext zeigen zu können.

Grob gesagt untersuchte diese Studie den Zustand der Gesellschaft nach der Pandemie und die Ergebnisse sind erstaunlich und weitgreifend.

 

Was belastet uns so?

Pandemie und Lockdowns haben erstmals seit vielen Jahrzehnten zu schweren Einschnitten des normalen Lebensrhythmus geführt. Man hatte das Gefühl, aus dem Tritt geraten zu sein.

Als größte Problematik stellt sich in diesem Kontext das Gefühl des Kontrollverlusts dar.

Hinzu kommt eine kollektive Erschöpfung. Das ergibt eine Analogie zum Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung – wenngleich diese Diagnose natürlich nicht gesamtgesellschaftlich gestellt werden kann.

Die Theorie hat aber doch etwas für sich: Wir kennen alle den Zusammenbruch nach einer Phase großer Anspannung. Dass dies nun kollektiv auftritt grenzt nahezu an Logik.

Nun bräuchte man nach so einer Phase eigentlich Ruhe, die ist allerdings keineswegs gegeben, denn die Themen, die aktuell die Welt in Atem halten, sind monströs und lassen wenig Spielraum für Optimismus und Zuversicht.

 

Wie äußert sich das?

Laut Prof. Dr. Hurrelmann zeigt sich die gesamtgesellschaftliche Symptomatik in drei Richtungen:

Zum einen in Form von psychischen Störungen. Angst-, Essstörungen und Depressionen nehmen stetig zu.

Viele finden ihr Ventil in Aggressivität – sie steigt tatsächlich kollektiv spürbar an.

Auch politisch werden die Haltungen extremer.

Drittens stellt ebenso die Sucht nach legalen und illegalen Drogen, aber auch nach Videospielen oder generell der Nutzung von digitalen Geräten eine Ausweichstrategie dar.

Es scheint, dass das Gefühl vorherrschend sein muss, sich „wegzubeamen“.

 

Was ist die Folge?

Die Erschöpfung und gefühlsmäßige Ohnmacht den Krisenherden gegenüber machen uns angreifbar. Wir suchen nach Erleichterung.

Verschwörungstheorien setzen hier an. Sie zeigen uns vermeintliche Ursachen und präsentieren „Schuldige“ für die großen Problemstellungen. Wir haben es alle schon gehört, die CIA hat den Virus erfunden und der Mensch hat keinerlei Anteil am Klimawandel – somit gibt es keinen Handlungsdruck und das Individuum ist aus dem Schneider. Irgendwie ist diese Sehnsucht nach Entlastung total verständlich.

Was tun?

Als logische Schlussfolgerung ergeben sich drei essenzielle Dinge.

Ich als Mensch brauche das Gefühl, die Welt verstehen zu können.

Ich brauche den Glauben, dass Herausforderungen, die im Moment übermächtig an uns gestellt werden, schaffbar sind.

Ich brauche die Gewissheit, dass das Ganze auch irgendwie Sinn macht und, dass es sich lohnt, in die Zukunft zu investieren.

 

pro.earth-Fazit

Diese drei Säulen zu stärken ist die Anforderung an jegliches zukünftige Streben. Kommen sie ins Wanken, nehmen Pessimismus, Aggression und Ausweglosigkeit mit all ihren Nebeneffekten überhand. Dem wollen wir entschieden entgegenstehen. 💚