Scheitert das EU-Lieferkettengesetz auf den letzten Metern?

Nach jahrelangen Debatten wurde am 14.12.2023 in den sogenannten Trilog-Verhandlungen ein Kompromiss über ein EU-Lieferkettengesetz erzielt. Damit sind EU-Gesetze üblicherweise fixiert und die Zustimmung durch die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament nur noch Formsache. Der nach Jahren erreichte „Meilenstein“, der üblicherweise nur noch formal die Zustimmung durch die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament benötigt, wackelt allerdings nun. Grund ist Deutschland, wo zwei Ministerien die Pläne zu dem ausverhandelten EU-Lieferkettengesetz nicht mittragen wollen, wie am Donnerstag letzter Woche bekannt wurde. Eine Zustimmung Österreichs ist ebenfalls noch offen. Viele NGOs sind besorgt über diese Entwicklungen.

 

Erst im Dezember einigten sich Rat, Parlament und Kommission nach monatelangen Verhandlungen im Trilog auf einen Kompromiss für das EU-Lieferkettengesetz. Dem vorausgegangen ist ein jahrelanger Prozess, in dem der österreichische Wirtschaftsminister Kocher gemeinsam mit Justizministerin Zadić Österreich im Rat nicht nur vertreten, sondern den Kompromiss maßgeblich mitverhandelt hat.

Das neue EU-Lieferkettengesetz mit seinen Stärken und Schwächen

 

Am 9.2. soll dieser Kompromiss nun im Ausschuss der ständigen Vertreter bestätigt werden, theoretisch reine Formalität. Das hat sich durch Deutschlands Haltung verändert. Das gesamte Regelwerk könnte durch eine deutsche Enthaltung infolge der Uneinigkeit in der Ampel-Koalition, weil in Brüssel dadurch die ausreichende Mehrheit für das Vorhaben auf der Kippe steht.   „Im Rat der Europäischen Union hat dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine ’nein‘-Stimme wirkt“, heißt es in einem Schreiben von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

 

Scheitern aufgrund von Enthaltungen?

Während Justizministerin Alma Zadić den erzielten Kompromiss dezidiert unterstützt, schweigt Wirtschaftsminister Martin Kocher. Nachdem am Freitag im Rat abgestimmt wird, muss die österreichische Position in den nächsten Tagen jedoch feststehen. Doch laut Medienberichten droht Wirtschaftsminister Kocher jetzt, wie auch die FDP in Deutschland, den österreichischen Vertreter anzuweisen, sich zu enthalten – was einer Ablehnung gleichkommen würde.

 

Enthalten sich mehrere EU-Länder, könnte das dazu führen, dass im Rat (COREPER) keine Mehrheit für den Kompromiss zustande kommt. In der Regel werden den demokratisch verhandelten und erzielten Kompromissen dann auch von den Institutionen die Zustimmung erteilt.

 

Bereits die öffentliche Kritik der deutschen FDP am Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz stellt einen Tabubruch dar. Im Zuge der jahrelangen Verhandlungen haben sowohl der Rat, als auch das EU-Parlament ihre Positionen eingebracht. Die Position des EU-Parlaments wurde sogar mit Stimmen von EVP- und Renew-Abgeordneten beschlossen.

 

„Der lange und komplexe Gesetzgebungsprozess in Brüssel ist darauf ausgelegt, einen möglichst demokratischen Kompromissvorschlag zu erarbeiten, bei dem alle zuständigen Ministerien der Mitgliedstaaten, die direkt gewählten Abgeordneten im EU-Parlament und die Kommission zu Wort kommen. Einem solchen Kompromiss nun nicht zuzustimmen, führt diesen jahrelangen Prozess und sein fundiertes Ergebnis ad absurdum”, erklärt Anna Leitner, Lieferketten- und Ressourcenexpertin bei GLOBAL 2000.

 

Dies ist der eine bedenkliche Aspekt. Der andere ist, dass die Verantwortung für Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Lieferkette wieder auf die lange Bank geschobenwerden könnte.

 

Inhalt der Lieferkettengesetzes

Das Lieferkettengesetz, ein Leuchtturmprojekt der Europäischen Union, sieht vor, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe endlich dazu verpflichtet werden, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten zu überwachen. Es soll nachhaltiges Wirtschaften zur Norm machen und Konzerne für die Verletzung von Menschenrechten und für entstandene Schäden an Umwelt und Klima zur Rechenschaft ziehen. Wir haben bereits darüber berichtet.

 

 

Aufforderung vieler, der Richtlinie zuzustimmen

Dass viele Unternehmen ein starkes EU-Lieferkettengesetz befürworten, zeigt sich auch durch einen offenen Brief, den im Herbst mehr als 70 österreichische Unternehmen unterstützt haben. Europaweit und weltweit fordern Bürger:innen und Zivilgesellschaft gemeinsam mit vernünftigen Unternehmen aller Branchen endlich gleiche Spielregeln für alle.

 

“Statt einen Kniefall vor Vertreter:innen der Großindustrie zu machen, die weiter Mensch und Umwelt ausbeuten wollen, muss Minister Kocher sich am Freitag für Menschenrechte, für Umweltschutz, für österreichische Unternehmen und vor allem für die Demokratie aussprechen und dem Kompromiss zustimmen!”, fordert Leitner.

 

86% der Bevölkerung stimmen zu, dass Unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verursachen oder dazu beitragen, rechtlich haftbar gemacht werden sollten. „Wirtschaftsminister Kocher sollte sich den demokratischen Prozessen, den Interessen der Bevölkerung sowie jenen Unternehmen, die bereits nachhaltig produzieren, verpflichtet fühlen und endlich Rechtssicherheit mit gleichen Spielregeln für alle Unternehmen in der EU herstellen“, so Stefan Grasgruber-Kerl, Südwind-Lieferkettenexperte, abschließend.

 

Auch die Dreikönigsaktion der österreichischen Jungschar hat sich für die Einhaltung der europäischen Spielregeln ausgesprochen und betont: „Es ist wichtig, in dieser heiklen Phase zu den europäischen Spielregeln zu stehen und sich nicht auf die Seite von Quertreibern und Erpressern zu schlagen“, Teresa Millesi, Bundesvorsitzende der Katholischen Jungschar und ihrer Dreikönigsaktion. „Nachdem Deutschland im März 2023 in letzter Minute seine Unterstützung für das schon fertig verhandelte Verbot von Autos mit Verbrennermotor ab 2035 zurückzog, hatten viele politische Beobachter*innen vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“, einer „Gefährdung des europäischen Geistes“ und von „erpresserischem Verhalten“ gesprochen. Ähnliches droht nun erneut zu passieren.“ meint sie in einer Presseaussendung.

 

160 Millionen Kinder weltweit von Kinderarbeit betroffen

Der Geschäftsführer von Jugend Eine Welt verweist bei den jüngsten Entwicklungen rund um das EU-Lieferkettengesetz auf die Tatsache, dass laut Schätzungen der ILO weltweit rund 160 Millionen Kinder, also fast jedes Zehnte, von Kinderarbeit betroffen sind. Rund die Hälfte dieser Kinder muss die gefährlichsten Formen der Kinderarbeit ausüben, d.h. Arbeiten, die eine echte Gefahr für ihre körperliche und geistige Gesundheit darstellen. „Diese Menschenrechtsverletzungen passieren oft am Beginn von Lieferketten. Die im Dezember erfolgte Einigung garantiert ein EU-Lieferkettengesetz, welches mehr Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen beinhaltet. Es kann doch nicht in Ihrem Sinne sein, dass in Österreich Waren und Produkte in den Geschäften – und damit in den Haushalten der Österreicherinnen und Österreicher, also bei Ihnen und mir – landen, in denen verdeckte, missbräuchliche Kinderarbeit steckt“, appelliert Reinhard Heiserer an Minister Kocher.