Wie wir mit PFAS umgehen sollten
Der Privatdozent im Fachbereich organische Umweltchemie an der ETH Zürich und Professor für Umweltchemie an der Masaryk-Universität in Brünn, Tschechien, Martin Scheringer, machte in einem vielbeachteten Essay Vorschläge, wie die Welt mit den äußerst problematischen Ewigkeitschemikalien (PFAS) umgehen sollte. Diese sind – wie ihr Name vermuten lässt – sehr stabil und bereits überall auf unserem Planeten, so auch in unserem Trinkwasser, in unserem Blut und auch in Muttermilch nachgewiesen worden. Wir setzen sie aufgrund ihrer Eigenschaften – wasser- und ölabweisend, sehr stabil und widerstandsfähig, stark oberflächenaktiv – vielfältig ein, sei es in Gebrauchsgegenständen ebenso wie in zahlreichen industriellen Anwendungen.
Zum Begriff Ewigkeitschemikalien
„Der Begriff ist vielleicht etwas salopp, aber er trifft die zentrale Eigenschaft von PFAS genau, nämlich ihre enorme Stabilität. Diese Stabilität – in der Umweltchemie nennt man sie „Persistenz“ – bedeutet, dass PFAS tatsächlich über Jahrhunderte oder noch länger in der Umwelt verbleiben werden. Und es gibt keine natürlichen Quellen für diese Substanzen, das heißt sie sind wirklich Fremdstoffe und bilden einen toxischen „Fußabdruck“ menschlicher Aktivität.“, erklärt Martin Scheringer im Interview mit heise online. Der Umweltchemiker verfasste gemeinsam mit Mohamed Ateia ein Essay im Journal Science verfasst, in dem sie Vorschläge machen, wie die Welt mit dem Problem der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) umgehen sollte.
In welchen Produkten man PFAS findet, haben wir bereits in einem Artikel zusammengefasst.
Großes Spektrum toxischer Effekte durch PFAS
„Solange PFAS in die Umwelt freigesetzt werden, steigen die Konzentrationen in der Umwelt und auch im Körper der Menschen immer weiter an, weil die PFAS eben nicht abgebaut werden.
Dies führt früher oder später dazu, dass auch Konzentrationen erreicht werden, bei denen toxische Effekte auftreten. PFAS können zu einem großen Spektrum von toxischen Effekten führen, zum Beispiel Leber- und Nierenschädigung, Hodenkrebs, Nierenkrebs, Schilddrüsenschädigung, Störungen des Fettstoffwechsels, Verminderung der Spermienzahl und eine verminderte Immunantwort nach Impfungen.“, erklärt der Umweltchemiker im Interview mit heise online.
Ist der Wechsel möglich?
Scheringer: „Ob und wie dieser Wechsel möglich ist, unterscheidet sich stark von Anwendungsgebiet zu Anwendungsgebiet. In manchen Gebieten ist er einfach und auch schon vollzogen worden, vor allem in Konsumentenprodukten, wo PFAS zur Imprägnierung eingesetzt wurden, und auch in Feuerlöschschäumen.
In anderen Gebieten ist er schwieriger, vor allem bei diversen Industrieanwendungen von PFAS. Ein Problem beim Wechsel ist, dass PFAS extrem breit und vielfältig verwendet werden, und daher gibt es hier keine einheitliche Antwort. In vielen Bereichen ist der Wechsel auf jeden Fall schon im Gange. Eine wichtige Frage ist hier auch, wieso das System der regulatorischen Stoffbewertung bei PFAS nicht früher eine rote Fahne gezeigt hat. Wir sind noch dabei, dieser Frage nachzugehen.“
In Konsumgütern ist dies leichter möglich, “ aber auch in sehr anspruchsvollen Anwendungen wie den besagten Feuerlöschschäumen, und zunehmend auch in Batterien und Brennstoffzellen. Es kommt aber sehr auf die Anwendung an, und weil es so viele verschiedene Anwendungen gibt, lässt sich die Frage nicht einheitlich oder nur kurz beantworten.“
Am Beispiel von Backpapier erklärt der Umweltchemiker, dass es Alternativen gibt. „Ich habe von schwedischen Papierherstellern erfahren: Man kann Backpapier herstellen, das fettundurchlässig und fettabweisend ist, indem man das Holz anders aufschließt, und muss keinerlei Imprägniermittel hinzusetzen wie eben PFAS. Das wäre eine sehr elegante Lösung, von Anfang an auf diesen Stoff zu verzichten.“
In industriellen Verfahren wird der Wechsel zu PFAS-freien Alternativen schwieriger
„Dort sind die Prozesse zum Teil sehr anspruchsvoll, technisch und kompliziert. Vor allem auch in der Halbleiterindustrie muss man noch Einzellösungen entwickeln.“, erklärt Scheringer. „Mein Lieblingsbeispiel sind die erwähnten Feuerlöschschäume: Die sind zwar sehr anspruchsvoll, aber es war bereits im Jahr 2003 möglich, PFAS-freie Alternativen zu entwickeln, die gleichwertig sind.“
Problematisch ist der Einsatz von PFAS in Produkten, die für die Energeiwende essentiell sind. Dazu zählen Batterien, Wärmepumpen, Brennstoffzellen. Dort wird PFAS zum Beispiel bei Folien, die in Batterien und Brennstoffzellen einzelne Komponenten trennen, verwendet. „Das ist gleichzeitig Hoffnung und Erwartung, dass man die Energiewende auch schaffen kann, ohne überall PFAS zu verwenden.“ so der Umweltchemiker.
Scheringers Empfehlung an Unternehmen
„Die Unternehmen sollten eng mit Materialwissenschaftlern und Ingenieuren zusammenarbeiten, auch an Forschungsinstituten, welche aufgrund ihrer Erfahrung Vorstellungen davon haben, wie die Funktion von PFAS möglichst gut auf andere Art erfüllt werden können. Das ist natürlich ein iterativer Prozess, der Zeit benötigt – das gilt es zu akzeptieren.“
Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Norwegen und Schweden haben einen EU-weiten Vorschlag mit einem klaren Ausstiegsszenario ausgearbeitet, der bei der ECHA am 13. Januar 2023 eingereicht wurde. Scheringer empfiehlt der EU weiter aktiv an Ausstiegsszenarien zu arbeiten.
Wechsel zu PFAS-frei ist kein Luxus-Projekt
Scheringer abschließend im Interview mit heise online: „Der Wechsel zu PFAS-frei ist kein Luxus-Projekt gelangweilter Behördenvertreter und Wissenschaftler, sondern notwendig, weil Millionen von Menschen in ganz Europa mit PFAS belastet sind und auf Gemeinden und Wasserversorger enorme Kosten zukommen. Es gibt also sehr gute Gründe, den Verzicht auf PFAS zu fordern und voranzutreiben.“