Unser Umgang mit geschützten Wildtieren: Natur ist nicht immer bequem

Unser Umgang mit streng geschützten Wildtieren wie Biber, Bär, Luchs, Wolf, Fischotter und Adler ist kontroversiell und konfliktbeladen. Vielerorts ertönt der Ruf nach „Regulierung“ der Bestände. Gerade in den letzten Wochen verabschiedeten die Landesregierungen von Tirol, Kärnten, Niederösterreich, Bayern (etc.) Verordnungen, um den Abschuss von willkürlich definierten „Problemwölfen“ zu erleichtern. Gegen Verordnungen gibt es im Gegensatz zu Bescheiden keine Einspruchsmöglichkeiten. Dies sei nicht europarechtskonform, so Umweltrechtlerin Erika Wagner von der Johannes Kepler Universität. 

 

Richtungsweisendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs ist ein Sieg für den Artenschutz

In seinem jüngsten Erkenntnis hat der Verwaltunsgsgerichtshof VwGH einer außerordentlichen Revision von WWF und Ökobüro stattgegeben. Bei Entscheidungen über den Abschuss von streng geschützten Tieren wie Fischotter, Biber oder Wolf muss einer anerkannten Umweltorganisation die Möglichkeit zur Teilnahme im Verfahren und auch ein Anspruch auf Überprüfung eingeräumt werden.

Genau das wurde in den letzten Jahren in mehreren Bundesländern gezielt umgangen, indem Abschüsse im Wege von Verordnungsverfahren genehmigt wurden. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Vorgangsweise als Aushebelung der Beteiligungsrechte gemäß Aarhus-Konvention für rechtswidrig erklärt.

“Das Erkenntnis ist angesichts des seit Jahren laufenden Vertragsverletzungsverfahrens in Zusammenhang mit der Umsetzung der Aarhus Konvention* in Österreich keine Überraschung. Umgehungskonstruktionen wie die Verordnungspraxis im Artenschutzrecht wurden zuletzt von der Europäischen Kommission explizit gerügt“ erklärt die Umweltjuristin Lisa Schranz von ÖKOBÜRO.

“Das ist ein Meilenstein für den bröckelnden Artenschutz in Österreich und ein klares Signal für eine rechtskonforme und lösungsorientierte Politik in den Bundesländern”

Christian Pichler, Artenschutzexperte WWF Österreich

„Die Landesregierungen wissen, dass sie sich auf dünnem Eis befinden“, meint der Biologe Kurt Kotrschal, Mitbegründer des Wolfforschungszentrums in Ernstbrunn (Wolf Science Center) im Interview mit der NÖN. „Sie wissen, dass vermutlich ein Vertragsverletzungsverfahren ins Haus steht, aber das braucht halt Zeit. In der Zwischenzeit fuhrwerkt man weiter – und das Katastrophale an diesen Erlässen ist, dass man Leuten vorgaukelt, man wird das Problem – für jene, für die es eines ist – mit Abschuss lösen. Und das wird nicht funktionieren.“

 

Gesetzliche Grundlagen

EU-weit sind Wölfe – und viele andere Wildtiere –  durch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU geschützt. Sie ist eines der wichtigsten europäischen Instrumente zum Schutz der biologischen Vielfalt und wird in Österreich in sieben Bundesländern in der Form des länderspezifischen Jagdgesetzes und zeitlich befristeter Verordnungen umgesetzt. In Oberösterreich ist eine Abschussverordnung momentan in Begutachtung. Die Bundesländer Burgenland, Wien und Vorarlberg haben oder planen aktuell keine Verordnung.

 

Artenschutz ist nicht immer bequem

„Der Wolf ist in Österreich heimisch und erfüllt eine wichtige Funktion in unseren fragilen Ökosystemen. Inmitten des größten Artensterbens seit 66 Millionen Jahren und der Klimakrise können wir uns den rücksichtslosen Umgang mit Umwelt und Natur nicht mehr leisten. Nur gesunde Ökosysteme helfen uns auch im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise“, sagt Gregor Schamschula, Umweltjurist bei Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung.

 

„Wenn wir naturnahe Ökosysteme wollen, müssen wir damit umgehen lernen, dass Natur nicht immer bequem ist.“  Ilse Storch, Universität Freiburg

 

In einem Gastkommentar im KURIER meint Wolfsexperte Kotrschal: „Daten zeigen, dass nicht Abschuss, sondern Rudelbildung in Verbindung mit Herdenschutz für stabile Verhältnisse und für ein Absinken der Weidetierverluste sorgt.

Die Rückkehr der Wölfe verursacht die bekannten, politisch instrumentalisierten Konflikte und Ängste. Aber trotz aller Fake News in den sozialen Medien kamen durch Wölfe in Europa über die Jahrzehnte keine Menschen zu Schaden – durch Rehböcke oder Wildschweine aber sehr wohl. Wölfe entfalten aber auch positive Wirkungen: So halten sie effizienter als menschliche Jäger Wildbestände gesund und sorgen für einen Reichtum an Kleintieren, indem sie etwa Rotfüchse, Goldschakale oder Fischotter kontrollieren.“

 

Der richtige Umgang

In der Zeit konnte man lesen, dass Heiner Schumann vom Thünen-Institut dem Science Media Center sagte, „man müsse die Sorgen der Landwirte und Tierhalter ernst nehmen. Sie stünden meist wirtschaftlich ohnehin schon unter Druck. Aber auch sie seien gefragt, sich an die neue Situation anzupassen. Am Ende werden wir als Gesellschaft mit diesem Problem leben müssen.“

Umweltjuristin Wagner findet, dass die Landwirte finanziell mit der Setzung von  Herdenschutzmaßnahmen unterstützt werden sollten. Ihrer Meinung nach sollte bei der Abgeltung von gerissenen Tierennach mitberücksichtigt werden, ob Herdenschutzmaßnahmen zumutbar waren und dennoch nicht ergriffen wurden.

 

Unser pro.earth. Fazit:

Wir Menschen tun uns anscheinend furchtbar schwer damit, den von uns „eroberten“ Lebensraum, den wir von unbequemen Tierarten „befreit“ hatten, wieder mit diesen zu teilen. Und unsere Lebensart daran anzupassen. Wir müssen wieder lernen, mit diesen Wildtierarten miteinander – und nicht gegeneinander – zu leben. Und wir brauchen Hilfeangebote für diejenigen, die einen Schaden erlitten haben. Aber uns gehört der Planet nicht. Wir waren zwar in den letzten Jahrzehnten wirklich gut darin, die Artenvielfalt massiv zu schädigen, aber allein auf der Erde werden wir nicht überleben können.  Dies muss uns allen bewusst werden. Und ohne aktiven Schutz gefährdeter Arten – und das sind viele – funktioniert dies nicht.

 

 

*Die Aarhus Konvention stellt klar, dass Umweltschutzorganisationen nicht nur das Recht haben müssen, in die Entnahmeverfahren von streng geschützten Tierarten eingebunden zu sein, sondern diese auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht überprüfen zu lassen.