Alpinismus und bröckelnde Berge: Wie verändern sich Hochtouren durch den Klimawandel?

Schwere Unwetter wie die der vergangenen Tage werden durch die Klimakrise messbar häufiger. Gerade die sensiblen Regionen des Hochgebirges sind von den Auswirkungen stark betroffen. Für Bergsteiger und Alpinisten ergeben sich durch die Erderhitzung große Herausforderungen und Risiken. Was bedeutet das für den Bergsport im Hochgebirge? Der Österreichische Alpenverein gibt Tipps für die Hochtourensaison.

 

Hitzewellen und Trockenperioden gab es schon immer, sommers wie winters. Aber dass sich die Erde dennoch kontinuierlich erwärmt und die Auswirkungen des Klimawandels insbesondere im Hochgebirge immer stärker zu spüren sind, ist leider Fakt, nicht Fake.

„Wir haben immer noch die Bilder des schrecklichen Eissturzes an der Marmolata vor Augen, bei dem elf Menschen ums Leben kamen. Dieses Jahr kam es auch in den heimischen Bergen zu einem gewaltigen Felssturz am Fluchthorn in der Silvretta. Am Dachstein ist die Randkluft nur mehr für erfahrene Alpinisten mit entsprechender Ausrüstung zu überwinden. Im Mont-Blanc-Gebiet riss es letzten Sommer sogar eine Biwakschachtel im Zuge eines Bergsturzes ins Tal, dort wurde 2022 aus Sicherheitsgründen auch die Goûter-Hütte gesperrt“, erklärt Gerhard Mössmer, Bergsportexperte beim Österreichischen Alpenverein. Ähnlich ergeht es der Tuoihütte unterhalb des kleinen Piz Buin auf Schweizer Seite, die aufgrund von Felssturzgefahr geschlossen werden musste.

Wie können Hochtourengeher vor und während der Tour auf die Veränderungen reagieren, um weiterhin unter vertretbarem Risiko ihrer Leidenschaft nachgehen zu können? Die bewährten 3×3-Matrix des Alpenvereins „Gelände – Verhältnisse – Mensch“ setzt bei den drei wichtigsten Schlüsselfaktoren an.

 

1. Das veränderte Gelände

Gerade für Hochtourengeher sind die Folgen der Erderhitzung und die damit verbundenen, erhöhten Risiken in den (noch) vergletscherten Regionen dramatisch.

    • Die Null-Grad-Grenze steigt,
    • der Permafrost im Hochgebirge löst sich auf,
    • Steinschlag und Felsstürze sind die Folge.
    • Dadurch müssen Wege gesperrt und Routenverläufe auch kurzfristig geändert werden.
    • Durch das Abschmelzen der Gletscher werden auch Zustiege schwieriger: Schutt, Morast und Gletscherseen erschweren oder versperren den Weg.

 

So ist beispielsweise der Zugang zum Hofmannskees auf der Heiligenbluter Seite des Großglockners inzwischen fast unmöglich, da die Pasterze in diesem Bereich mittlerweile zu einem See zusammengeschmolzen ist. Ebenso wird der Großglockner-Anstieg über den Normalweg durch die Ausaperung des „Eisleitls“ anspruchsvoller, was dazu führt, dass Bergführer nur noch zwei Gäste führen. Ehemals vergletscherte Übergänge, die vor einigen Jahren noch einfach passierbar waren, werden zum Problem. Auch bei Bachüberquerungen ist vermehrt Vorsicht geboten, wenn die Pegel unter den hohen Temperaturen steigen. Tipp von Gerhard Mössmer: „Sich genügend Zeit nehmen, bis man eine geeignete Stelle findet – in der Regel eher bachaufwärts, wo man den Bach gefahrlos überqueren kann.“

„Wir erhalten Informationen zu den aktuellen Verhältnissen nicht mehr wie früher aus der gedruckten Führerliteratur oder der analogen Karte, sondern vielmehr aus Internetportalen wie z.B. alpenvereinaktiv.com oder durch einen Anruf auf der Hütte“, rät Bergsportexperte Gerhard Mössmer.

 

2. Auf die Verhältnisse achten

Stein- und Eisschlag werden ständige Begleiter auf Hochtour. Damit eng verbunden ist die Jahreszeit, in der Hochtouren unternommen werden können: „Früher war eine Begehung der Eiger-Nordwand bei winterlichen Bedingungen außergewöhnlich, heutzutage ist dies aufgrund der herrschenden Steinschlaggefahr im Sommer ein absolutes Muss. Im Grunde müssen jetzt die allermeisten kombinierten Touren vom Spätherbst bis zum Frühjahr begangen werden, sofern die Routen überhaupt noch existieren“, weiß Gerhard Mössmer.

Zudem ist die Tageszeit genau zu planen und die Null-Grad-Grenze stets im Auge zu behalten. In dem Kontext bemerkt Mössmer: „Der bewährte Spruch ‚Der frühe Vogel fängt den Wurm‘ erhält mehr Bedeutung denn je. Friert es allerdings über Nacht nicht mehr durch, nützt auch der zeitigste Aufstieg nichts, denn dann führen Gletscherbäche 24 Stunden sehr viel Wasser und sind ohne künstliche Stege kaum noch zu überwinden. Auch Spaltenbrücken tragen nicht mehr, die Schneeoberfläche ist mühsam zu begehen und am Gletscher waten wir im Sumpf.“

Insgesamt stellen diese Veränderungen die Bergsportler vor neue Herausforderungen und erfordern eine sorgfältige Planung und Ausrüstung. Die schneearmen Winter und warmen Sommer setzen den Gletschern gehörig zu. Für Hochtourengeher bedeuten sie größere Spaltensturzgefahr, auch im Winter aufgrund geringerer Schneeüberdeckung. Bergschründe und Randkluften sind schwieriger bis gar nicht zu überwinden. Spaltenzonen ändern sich schneller und vom blinden Nachgehen eines (womöglich alten) GPX-Tracks am Gletscher muss bei manchen Touren dringend abgeraten werden.

Auch unterspülte Schneefelder sind eine ernstzunehmende Gefahr. Dort herrscht wie bei Spalten akute Einbruchgefahr: „Diese Bereiche gilt es, zu erkennen und zu umgehen. Unter Umständen muss man sich hier sogar sichern“, informiert Gerhard Mössmer, der diese Gefahren erst kürzlich auf einem Hochtourenkurs live beobachtet hat.

 

3. Mensch & Ausrüstung

Nicht nur die Berge, auch die Ausrüstung ist eine andere geworden: Wurde der Steinschlaghelm auf Hochtour früher noch belächelt, ist er heute Standard. Auch ein Klettersteigset ist auf Grund von installierten Klettersteig-Passagen auf manchen Hochtouren bereits obligatorisch. Inzwischen muss auch bei einigen ehemals vergletscherten Übergängen abgeseilt werden, was wiederum entsprechendes Material (Abseilgerät etc.) und auch Know-how voraussetzt. Beim Überwinden von Bergschründen, Randkluften und immer steiler werdenden Gletscheraufschwüngen ist man mitunter froh um ein zweites Eisgerät.

Achtsames Steigen, um Steinschlag in ausgeaperten Flanken zu vermeiden, ist genauso gefragt wie eine entsprechende Klettertechnik im „aufgesteilten Schutthaufen“. Ein Paradebeispiel dafür ist das ehemals mit Firn und Eis bedeckte „Eisleitl“ auf Österreichs höchstem Berg, dem Großglockner. Sorgfältige Planung und das Einholen von aktuellen Informationen sind wichtiger denn je.

Gerhard Mössmer gibt einen abschließenden Ausblick: „Wir dürfen mit Sicherheit auch weiterhin tolle Tage im Hochgebirge erleben. Wir müssen uns aber der zunehmend größeren, objektiven Gefahren bewusst werden und der Tatsache ins Auge blicken, dass manche Touren anspruchsvoller werden, manche nur mehr in einem kleinen Zeitfenster machbar sein werden und manche Touren gar nicht mehr unter einem vertretbaren Risiko begangen werden können.“