Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie

Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als wir zur Verfügung haben und streben dennoch weiterhin nach Wirtschaftswachstum. Die Gemeinwohl-Ökonomie wurde dazu 2010 vom österreichischen Philologe Christian Felber als Reformbewegung und alternative Wirtschaftsform ins Leben gerufen. Als Gegenbewegung zur Marktwirtschaft soll hierbei der Mensch und die Gemeinschaft wieder in den Mittelpunkt gerückt werden. 

 

„Die Gemeinwohl-Ökonomie ist der Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle.“ (GWÖ Österreich)

 

Worum geht es bei der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)?

Es handelt sich um ein alternatives Wirtschaftsmodell, eine ethische Marktwirtschaft mit freien Märkten und privaten Unternehmen,  bei der die Firmen miteinander kooperieren statt konkurrenzieren sollen. Dieses Modell stellt Nachhaltigkeit und Solidarität in den Vordergrund. Der Zweck wirtschaftlichen Handelns ist in diesem System nicht mehr die Geldvermehrung, sondern die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse.

 

Eine der Stärken der Gemeinwohl-Ökonomie besteht darin, dass sie an Kernelemente der kapitalistischen Marktwirtschaft anknüpft: Unternehmen, Kredite, Handel, Märkte, Eigentum. Sie transformiert jedoch diese Elemente, indem sie diese konsequent in den Dienst der übergeordneten Werte – Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Demokratie – stellt. Es handelt sich also um Transformation und Weiterentwicklung, nicht um „Disruption“ oder „Systemwechsel“.

Christian Felber, Gründer der Gemeinwohl-Ökonomie

 

„Grundlagen der Gemeinwohl-Ökonomie sind die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, demokratische Grund- und Verfassungswerte, Beziehungswerte nach Erkenntnissen der Sozialpsychologie, die Ethik der Achtung vor der Natur und der Schutz der Erde (Earth Charter) sowie anerkannte wissenschaftliche Fakten wie das Konzept der planetaren Grenzen„, so GWÖ Österreich.

Nach Felbers Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ soll das Gemeinwohl-Produkt (Makroebene), die Gemeinwohl-Bilanz (Mesoebene) und die Gemeinwohl-Prüfung (Mikro-Ebene) das BIP, den Finanzgewinn und Finanzrendite als bisherige, rein monetäre Erfolgsmaßstäbe ablösen.

Die Ziele der GWÖ decken sich großteils mit den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs).

Der Weltzukunftsvertrag der UNO besagt in erster Linie eines – es ist Deine Entscheidung

 

Die fünf Werte des Gemeinwohls

Diese sind Menschenwürde, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und demokratische Mitentscheidung und sind die Basis für die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz, die jedes Unternehmen erstellen soll. In einer sogenannten „Matrix“ werden die unternehmerischen Aktivitäten nachvollziehbar gemacht und alle Dimensionen ethischen Verhaltens berücksichtigt.

Nach einem Punktesystem wird eingestuft, wie die Werte im jeweiligen Unternehmen in der Praxis bereits umgesetzt sind. Neben dem Blick in das Unternehmen werden folgende Interessengruppen berücksichtigt: Lieferant*innen, Eigentümer*innen und Finanzpartner*innen, Mitarbeitende, Kund*innen und das gesellschaftliche Umfeld. Da sie ein umfassendes Instrument ist, deckt sie gängige CSR-Berichtsstandards ab und geht sogar darüber hinaus.

Dieses Wirtschaftsmodell kann nicht nur auf Unternehmen, sondern auch auf Gemeinden, NGOs und auch auf überstaatlicher Ebene angewendet werden. So soll beispielsweise in Deutschland die erste Gemeinwohl-Region entstehen und auch Bildungseinrichtungen richten erste Lehrstühle ein und beginnen Forschungsaktivitäten zum Thema.

 

Anreize zum Umdenken

Um wirtschaftliche Akteure zu einem Umdenken zu bewegen, sollen steuerliche Anreize und günstige Kredite, swoei Zugang zum Weltmarkt und weltweiten Handel diejenigen belohnen, die nachhaltig wirtschaften. Demgegenüber sollen jene, die sozial oder ökologisch schädlich agieren, schlechter gestellt werden.

 

Eine weltweite Bewegung

Ihren Ausgang nahm die Gemeinwohl-Ökonomie 2010 in Wien, ist im D-A-CH-Raum am stärksten vertreten und gewann von hier aus Anhänger*innen in der ganzen Welt. Heute zählt die Reformbewegung weltweit 11.000 Unterstützer*innen, rund 4.500 Mitglieder in über 170 Regionalgruppen, über 1000 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen in 35 Ländern.

Zu namhaften gemeinwohl-bilanzierenden Unternehmen gehören unter anderem der Ökostrom-Anbieter Polarstern, die Bio-Anbauverband Bioland, der Outdoor-Anbieter Vaude, die Krankenkasse BKK ProVita und der Trinkflaschen-Hersteller Soulbottles, der Bio-Pioner SONNENTOR und Möbelhersteller Grüne Erde.

 

Zukunftsweisend?

„Die rasche Verbreitung der Idee zeigt die Sehnsucht der Bevölkerung nach einem neuen, ethischen Wirtschaftssystem, das uns Menschen und dem Gemeinwohl dient“, sagt Kuno Haas, Geschäftsführer von Grüne Erde. „Das öffnet den Blick für die Zukunft und zeigt, wohin die Reise gehen soll.“

 

Stimmen aus dem wirtschaftlichen Sektor sehen den Ansatz kritisch und manche Experten warnen vor den tiefgreifenden Veränderungen durch die flächendeckende Einführung der Gemeinwohl-Ökonomie. Enorme Kosten durch bürokratischen Aufwand, die Abwanderung von Unternehmen, der Verlust von Wohlstand und vor allem – so Mag. Karin Steigenberger von der Österreichischen Wirtschaftskammer – „erhebliche Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheiten von Individuen bzw. Unternehmen, bis hin zu Enteignungen“ werden als Hauptkritikpunkte genannt.

 

Christian Felber betont im Gegenzug immer wieder, dass die Gemeinwohl-Ökonomie bisher nur ein Konzept sei, das von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam weitergedacht werden soll. Darüber hinaus muss man sehen, dass das vorhandene System zu der Erderwärmung geführt hat, die weitaus tiefgreifendere Veränderungen mit sich bringt und bringen wird.