Längst überfälliges Lieferkettengesetz nun am Weg ins EU-Parlament

Die europäische Sorgfaltspflichten-Richtlinie – alias „europäisches Lieferkettengesetz“ – hat nach zähen Verhandlungen und vielen Abstimmungsvertagungen letzten Freitag im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten eine Mehrheit unter den EU-Mitgliedsstaaten gefunden. Österreich und Deutschland haben trotz massiver Abschwächungen der Richtlinie nicht zugestimmt. Diese Einigung bedeutet, dass die Richtlinie jetzt noch vor Ende der Legislaturperiode zur Abstimmung im EU-Parlament kommen kann. Nach dem Beschluss der Richtlinie auf EU-Ebene geht es dann weiter in die nationale Umsetzung.

 

Die neue Richtlinie „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) wird dazu führen, dass große Unternehmen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten umsetzen müssen und zwar entlang ihrer Wertschöpfungskette. Damit haften Firmen künftig für Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung bei der Produktion. Also auch für Geschäftspartner und teilweise auch für nachgelagerte Tätigkeiten wie Vertrieb und Recycling.

Das neue EU-Lieferkettengesetz mit seinen Stärken und Schwächen

 

Abgeschwächte Form

Allerdings ist der neue Gesetzesentwurf weniger streng als davor mit deutlich eingeshränktem Anwendungsbereich. Während die Einigung zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament beinhaltete, dass die Richtlinie für Unternehmen ab 500 Mitarbeiter:innen und 150 Millionen Euro Umsatz gelten soll, soll sie jetzt erst ab 1.000 Mitarbeitenden und 450 Millionen Euro Umsatz gelten. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Klage verringert. Desweiteren soll es keine zusätzlichen Regeln für Risikosektoren wie zum Beispiel die Landwirtschaft geben. Zudem heißt es im finalen Kompromisstext nun „risikobasierte Sorgfaltspflicht“ und bei „Zulieferern aus als sicher geltenden Ländern müsste weniger genau hingeschaut werden“, so ORF.

 

Gemischte Reaktionen

Während Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen durchwegs positiv auf die Einigung reagieren, sind Wirtschaftsvertreter:innen besorgt um den Standort Europa.

„Das Lieferkettengesetz legt den Grundstein für eine klimagerechtere Welt und den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Es bietet endlich einen rechtlichen Rahmen um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, die von Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit profitieren”, so Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei GLOBAL 2000.

 

Schmerzliche Verwässerung

„Die neuerliche Verwässerung, um das EU-Lieferkettengesetz zu retten, schmerzt. Nicht nur hinsichtlich der eingeschränkten Effektivität der Richtlinie, sondern auch aufgrund der demokratiepolitischen Komponente, die hier mitschwingt: EU-Mitgliedsstaaten waren auf Zuruf der Industrielobby dazu bereit, die demokratischen Spielregeln der Europäischen Union in Frage zu stellen“, so Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferketten-Experte von Südwind.

 

Auf dem Rücken arbeitender Kinder

„Dass es dieses Feilschen in den letzten Wochen überhaupt gegeben hat, ist skandalös“, gibt Teresa Millesi, Vorsitzende der Katholischen Jungschar und ihrer Dreikönigsaktion zu bedenken. „Allein auf Kakaofarmen in Ghana arbeiten 770.000 Kinder unter gefährlichen Bedingungen. Es ist kein Grund zum Feiern, dass der bereits im Dezember 2023 getroffene Kompromiss nochmals aufgemacht und abgeschwächt wurde. Politischen Kleingeldwechsler:innen und Konzernlobbyist:innen ist es gelungen, auf dem Rücken arbeitender Kinder und anderer Opfer von Ausbeutung und Umweltzerstörung, Aufweichungen herauszuschlagen“, so Millesi weiter.

 

„Die heutige Entscheidung zur Lieferkettenrichtlinie ist unverantwortlich, die aktuelle Ausgestaltung sieht Regulatorien vor, die jenseits jeglicher unternehmerischer Realitäten stehen“, sagte dagegen der Chef der Industriellen Vereinigung (IV), Georg Knill.